KRUPP – EINE DEUTSCHE FAMILIE | Krupp – Eine deutsche Familie
Filmische Qualität:   
Regie: Carlo Rola
Darsteller: Iris Berben, Benjamin Sadler, Valerie Koch, Thomas Thieme, Heino Ferch, Barbara Auer, Fritz Karl, Sunnyi Melles, Nikolai Kinski, Mavie Hörbiger, Michael Schenk
Land, Jahr: Deutschland 2009
Laufzeit: 255 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: X
Auf DVD: 3/2009


José García
Foto: Universum Home Entertainment

Eine Erfindung steht am Anfang einer Firmenkarriere, die zum zeitweilig größten Industrieunternehmen Europas führen sollte: 1851 gelingt es Alfred Krupp, einen nahtlosen Radreifen zu walzen. Damit erfährt die von seinem Vater Friedrich Krupp gegründete Gussstahlfabrik einen enormen Aufschwung.

Drei versetzt aufeinander liegende Radreifen bilden denn auch das Symbol sowohl der Firma als auch der Familie Krupp. Denn die Geschichte des Industrieunternehmens Krupp ist mit der Geschichte der Familie untrennbar verbunden, in deren Besitz die Firma bis zum Jahr 1967 verbleiben sollte. Das Firmensymbol ist nicht nur am Anfang und am Ende des Films, sondern immer wieder als Siegelring am Finger des Firmen- und Familienoberhauptes in der jeweiligen Generation auffallend zu sehen.

Der Fernsehfilm von Christian Schnalke (Drehbuch) und Carlo Rola (Regie) umfasst die Jahre 1901-1967. Um diesen, sich über vier Generationen erstreckenden Zeitraum dramaturgisch zu gliedern, wählten die Filmemacher zwei markante Daten: 1901 und 1957, wobei die Übergänge zwischen beiden Perioden teilweise hervorragend gelungen sind. Das Zimmer, das 1901 Berthas Mutter Margarethe Krupp (Barbara Auer), 1957 aber ihre Tochter Bertha bewohnt, dient als visuelle Verknüpfung der zwei Epochen miteinander.

Im Zentrum von „Krupp – Eine deutsche Familie“ steht das Jahr 1957 als Höhepunkt des Streits zwischen der 71-jährigen Bertha Krupp von Bohlen und Halbach (Iris Berben) und ihrem 50-jährigen Sohn Alfried (Benjamin Sadler) sowie als Todesjahr Berthas. Den eigentlichen Kern des viereinhalbstündigen TV-Films stellt aber die schwierige Beziehung zwischen Bertha und Alfried dar. Unter den vielen Figuren der mäanderartigen Handlung spielen Mutter und Sohn eindeutig die Hauptrollen.

Nach einem kurzen, als Hommage an die große Erfindung Alfred Krupps im Jahre 1851 zu verstehenden Vorspann setzt die Handlung denn auch im Jahre 1957 an. Im feudalen Speisesaal von Villa Hügel sitzt die Familie zusammen. Alfrieds 19-jähriger Sohn Arndt (Nikolai Kinski), der die vierte Generation repräsentiert, ist zum Abendessen bekommen. Nur seine Großmutter Bertha fehlt, weil ihr Enkel ihren Erwartungen nicht entspricht. Alfried sucht sie auf – das Türanklopfen gehört ebenfalls zu den visuellen Stilmitteln, die dem ganzen TV-Film Einheit verleihen.

In der Auseinandersetzung zwischen Mutter und Sohn kommen zwei unterschiedliche Annschauungen zum Vorschein: Bertha beharrt auf der Familientradition – Kaiser Wilhelm II. besaß auf Villa Hügel eine eigene Suite, Hitler war ebenfalls Gast am Stammessitz. Ihr Sohn Alfried weist sie aber darauf hin, dass sich die Zeiten geändert haben. Nachdem Bertha ihren Sohn aus dem Haus geworfen hat, erleidet sie einen Herzinfarkt. Während sie von einem jungen Dienstmädchen betreut wird, lässt Bertha ihre Gedanken schweifen.

Der Film springt ins Jahr 1901 zurück, als die 15-jährige Bertha (Valerie Koch) an der Seite ihrer jüngeren Schwester Barbara (Marie Zielcke) in Villa Hügel glückliche Tage verbringt. Ihr Vater Fritz Krupp (Fritz Karl), ein enger Freund von Wilhelm II. (Michael Schenk), hat den Konzern zu seinem Höhepunkt gebracht.

Bei einem Besuch schenkt Tilo von Wilmowsky (Stephan Luca) den Schwestern Bertha und Barbara, seiner späteren Ehefrau, ein Exemplar von Thomas Manns gerade erschienenem „Buddenbrooks“. Der Roman erweist sich als Vorahnung. Tomas Manns auf die Lübecker Kaufmannsfamilie gemünzter Spruch „Wenn ein Stern am hellsten leuchtet, ist er vielleicht schon erloschen“ trifft auch für die Essener Industriellenfamilie Krupp zu.

Dies gilt nicht nur für die eigentliche Familiengeschichte, sondern ebenfalls auch für deren Verstrickung in die Politik. Anno 1901 kann sich noch Fritz Krupp nach dem Grundsatz „Wir politisieren nicht“ verhalten. Nachdem aber der Kaiser immer mehr in die Familienangelegenheiten eingreift – so bestimmt Wilhelm II. die Heirat Berthas mit Gustav von Bohlen und Halbach (Heino Ferch, später von Thomas Thieme dargestellt) –, steigt Krupp immer mehr in die Rüstungsindustrie ein. Dass dabei zwischen Politik und Geschäft noch immer unterschieden wird, unterstreicht die Szene, in der Gustav die Engländer an die Lizenzgebühren für abgefeuerte Granaten erinnert.

Noch symptomatischer für die Politisierung der Krupp-Familie nehmen sich die Beziehungen zu Hitler aus. Steht Gustav dem Nationalsozialismus zunächst distanziert gegenüber, bleibt Bertha einem Besuch Hitlers auf Villa Hügel gar fern („diesen Proleten empfange ich nicht in meinem Haus“), so ändert sich die Einstellung im Laufe der Zeit. Gustav schenkt Hitler den ersten produzierten Tigerpanzer 1942. Berthas Sinnesänderung setzt der Film darüber hinaus überdeutlich ins Bild.

Wenn auch das häufige Hin- und Herspringen zwischen den verschiedenen Zeiten etwas verwirren könnte, bietet „Krupp – Eine deutsche Familie“ einen aufschlussreichen Überblick über sechzig Jahre deutsche Geschichte.
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