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JOSà GARCÃA Foto: Alamode Film Der iranische Film ist längst aus dem Schatten des âInsidertippsâ herausgetreten. Zu seiner gröÃeren Bekanntheit trug in besonderem MaÃe Abbas Kiarostami bei, der seit dreiÃig Jahren Spielfilme dreht und deshalb als der Doyen des iranischen Kinos angesehen wird. Die Auszeichnung von Kiarostamis âDer Geschmack der Kirscheâ mit der Goldenen Palme bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1997 verlieh dem iranischen Film insgesamt einen deutlichen Verbreitungsschub, der bis heute anhält. âDer Geschmack der Kirscheâ handelte von Leben und Tod, aber auch vom Unterwegssein: ein Mann mittleren Alters fährt durch die AuÃenviertel Teherans auf der Suche nach jemandem, der sein bereits ausgehobenes Grab zuschaufelt â falls er sich entschlieÃt, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Kiarostamis nächster Film âDer Wind wird uns tragenâ (1999) setzte dieses Sujet fort: ein Geschäftsmann wird in ein Dorf geholt, um die Beerdigung einer alten Frau ausrichten, die im Sterben liegt. Da die Frau jedoch nicht so schnell stirbt, wie es zunächst den Anschein hatte, steigt er immer wieder ins Auto ein, um eine Stelle zu finden, wo er mit seinem Handy telefonieren und seinen Geschäften nachgehen kann. Das Autofahren nimmt in diesen letzten Filmen Kiarostamis eine zentrale dramaturgische, aber auch symbolische Stellung ein: nicht im Ziel, sondern im Weg soll das Glück gefunden werden. Nun hat der iranische Regisseur das Stilmittel des Unterwegs-im-Auto-Sein konsequent zu Ende geführt: sein aktueller Film âTenâ, der am offiziellen Wettbewerb in Cannes 2002 teilnahm und nun im deutschen Kino startet, spielt ausschlieÃlich im Auto: eine junge Mutter fährt ihren Sohn zum Schwimmbad, während sich beide lautstark streiten. Die in der Mitte des Armaturenbretts montierte Kamera zeigt lediglich die Fahrerin oder den Beifahrer. Nachdem sie ihren Sohn abgesetzt hat, nimmt die Fahrerin auf ihrer weiteren Fahrt durch die Stadt (offensichtlich Teheran) nacheinander ihre Schwester, eine Freundin sowie fremde Frauen mit. Jedes Mal, wenn die Beifahrerin wechselt, beginnt eine neue Episode â bis die zehn Kapitel von unterschiedlicher Dauer komplett sind, auf die der englische Titel âTenâ anspielt. Ob die mit ihrer jeweiligen Beifahrerin geführten Gespräche über Ehe und Ehescheidung, über Familie und Kindererziehung, über Mann-Frau-Beziehungen bis hin zu deren Perversion in der Prostitution sowie über Religionsausübung den wirklichen Zustand, das Lebensgefühl der Frau im allgemeinen oder eher der âoberen Zehntausendâ in Iran widerspiegelt, erfährt der Zuschauer nicht. Zum Nachdenken indes regt ihn âTenâ jedenfalls an, auch wegen seiner eigenwilligen Form. Mit den Filmwerken anderer iranischer Regisseure â etwa mit Bahman Ghobadis Spielfilmdebüt âDie Zeit der trunkenen Pferdeâ (2000) und mit Mohsen Makhmalbafs âReise nach Kandaharâ (2001) â teilt âTenâ eine stark dokumentarische Wirkung. Aber Kiarostami erweist sich als der radikalere Regisseur: obwohl die Filme Makhmalbafs und Ghobadis den Anschein einer Dokumentation durchaus erwecken, bedienen sie sich doch eines fertigen Drehbuchs. Demgegenüber geht Kiarostami nach dem Prinzip vor, das er selbst âdas Verschwinden der Regieâ nennt: der Regisseur arbeitet das Drehbuch kaum aus, gibt seinen Laiendarstellern lediglich allgemeine Anweisungen, damit sie ihre Dialoge improvisieren. Der Regie-Altmeister fasst diesen beinah experimentellen Stil so zusammen: âDieser Film wurde geschaffen, ohne wirklich geschaffen worden zu sein. Dennoch ist er keine Dokumentation. Weder eine Dokumentation noch ein durchfabrizierter Film. Vielleicht steht er irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Formen.â Dieses âDrehbuch in progressâ erweist sich jedoch nicht als das einzige Element in âTenâ, das der klassischen Filmsprache zuwiderläuft. Auffällig ist vor allem die unbewegte Kamera mit deren langen Einstellungen: die Eingangssequenz etwa zeigt mehr als eine Viertelstunde lang den heftig gestikulierenden und sich mit seiner Mutter streitenden Jungen in einem beinahe unbeweglichen Bild mit lediglich zwei, drei kaum merklichen Schnitten. Daraus resultiert, was Abbas Kiarostami selbst als Minimalismus bezeichnet. Zu dieser filmischen Abstraktion führt der iranische Regisseur aus: âIch glaube an eine Art Kino, das dem Zuschauer gröÃere Möglichkeiten bietet und ihm mehr Zeit gibt. Ein Kino, das nur eine Hälfte kreiert, ein unvollständiges Kino, dessen zweite Hälfte der schöpferische Geist des Zuschauers selbst gestalten muss.â In den âMainstreamâ lassen sich deshalb Abbas Kiarostamis Filme kaum einordnen. Anregend sind sie allerdings allemal. |
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