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José GarcÃa Foto: Delphi Die filmische Abrechnung mit lebenden Politikern scheint zu den Spezialitäten des italienischen Kinos zu gehören. Anders jedoch als etwa der amerikanische Spielfilm âFrost/Nixonâ (siehe Filmarchiv) sind sie weder um eine möglichst objektive Rekonstruktion der Fakten noch um eine realistische Inszenierung bemüht. So geriet Nanni Morettis Berlusconi-Schelte âDer Italienerâ (âIl caimanoâ, siehe Filmarchiv) zu einer ganz und gar verschrobenen Farce. In die gleiche Kerbe schlägt nun, wenn auch auf den ersten Blick in gemäÃigterer Form, Paolo Sorrentinos Andreotti-Filmgroteske âIl Divoâ, die beim Filmfestival Cannes 2008 mit dem âJurypreisâ ausgezeichnet wurde und nun im regulären Kinoprogramm anläuft. Bereits die ersten Bilder legen die surreale Inszenierung fest. Im Morgengrauen geht ein einsamer Mann auf einer menschenleeren StraÃe â allerdings ist er umgeben von Leibwächtern. Das Zwielicht unterstreicht den traumhaften Charakter einer Szene, die einerseits die Einsamkeit der Macht verdeutlichen soll. Andererseits deutet der Gang zur benachbarten Pfarrkirche die Nähe von Giulio Andreotti (Toni Servillo, der für diese Rolle den Europäischen Filmpreis 2008 als Bester Schauspieler erhielt) zur Kirche an. Für den tiefgläubigen Katholiken findet Regisseur Sorrentino allerdings kaum Bilder. War für den italienischen Politiker der Beichtstuhl âletzter Blitzableiterâ, so besitzt das im Film nachgestellte Beichtgespräch eher politischen Inhalt. Die Giulio Andreotti nachgesagten âbesten Beziehungenâ zum Vatikan beschränken sich in âIl Divoâ auf die Zugehörigkeit von Kardinal Fiorenzo Angelini zu Andreottis âinnerem Kreisâ. Tatsächlich ist der 1916 geborene Kardinal Angelini, bis zu seiner Emeritierung 1996 Präsident des Päpstlichen Rates âfür die Pastoral im Krankendienstâ, ein enger Freund Andreottis. Der innere Zirkel soll freilich eher eine Metapher für die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der âDemocrazia cristianaâ darstellen, auf die sich Andreotti stützte. Mit Ãberzeichnung wird am treffendsten dieser âgroteske, clowneske Politkrimiâ (Eigenbezeichnung des Filmverleihs) gekennzeichnet. Die Ãberzeichnung betrifft zunächst und vor allem die Figur Andreottis selbst: Der Schauspieler Toni Servillo verschwindet regelrecht hinter einer dichten Sicht Schminke. Die Ohren stehen noch mehr ab als beim echten Politiker, so dass sein Gesicht eher einer Karikatur gleicht. Diese wird noch von der Körperhaltung mit dem gekrümmten Rücken und dem Kopf zwischen den Schultern unterstrichen. Seine eckigen Bewegungen und die Kamerafahrten, bei denen der Eindruck entsteht, als ob Andreotti auf Schienen gefahren würde, vervollständigen ein Bild, das alles andere als realistisch, geschweige denn als positiv zu werten ist. Dieses einseitige Bild setzt sich in der Handlung fort. Bei aller Unübersichtlichkeit eines Filmes, der mit zahlreichen Namen den nichtitalienischen Zuschauer eher verwirrt, ragen zwei Zusammenhänge heraus. Der echte Giulio Andreotti wurde im Oktober 2004 von einem Berufungsgericht von der Anklage freigesprochen, die sizilianische Mafia begünstigt zu haben. Kernpunkt des Prozesses, der sich über mehr als zehn Jahre durch mehrere Instanzen zog, war die Frage, ob sich Andreotti im Jahr 1987 mit Salvatore Riina, dem damals mächtigsten sizilianischen Mafioso, getroffen hatte. Obwohl das Berufungsgericht feststellte, dass es für ein Treffen Andreottis mit Salvatore Riina keinen Beweis gebe und die entsprechenden Aussagen eines Kronzeugen âkonfus und widersprüchlichâ seien, setzt Sorrentinos Film die Begegnung zwischen dem Politiker und dem Mafioso in Szene. Eng mit diesem Fall hängt auch die Ermordung des ehemaligen Geheimdienstmannes und Journalisten Mino Pecorelli im März 1979 zusammen. Zwar war Andreotti im November 2002 in einem Berufungsverfahren als Drahtzieher des Mordes zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Im Oktober 2003 wurde der Politiker jedoch vom höchsten Berufungsgericht Italiens von diesem Vorwurf freigesprochen. âIl Divoâ behauptet Andreottis angebliche Mitwisserschaft zwar nicht unmittelbar. Aber durch eine Parallelmontage wird der unmissverständliche Eindruck erweckt, dass der ehemalige italienische Ministerpräsident wohl hinter dem Anschlag gestanden habe â ein Anschlag, der wie alle anderen Gewaltakte im Film im Stil der Mafia-Genrefilme ganz realistisch inszeniert wird. Versatzstücke des Genrefilmes setzt Regisseur Sorrentino auch an anderen Stellen ein, etwa in einer langen Reihe von Bittstellern, die unweigerlich an die Anfangssequenz in Coppolas âDer Pateâ erinnert. Die Parallele ist offenkundig nicht zufällig gewählt. Eine ausgewogene Auseinandersetzung mit dem real existierenden âSenator auf Lebenszeitâ Giulio Andreotti sucht der Zuschauer in Paolo Sorrentinos âIl Divoâ vergebens. Hier stand das Ergebnis offenbar von Anfang an fest: Der Spielfilm stellt eine filmische Rache für die Freisprechungen des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti dar. |
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