THE HOURS. VON EWIGKEIT ZU EWIGKEIT | The Hours
Filmische Qualität:   
Regie: Stephen Daldry
Darsteller: Nicole Kidman, Julianne Moore, Meryl Streep, Ed Harris, John C. Reilly, Claire Danes
Land, Jahr: Großbritannien 2002
Laufzeit: 110 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: U


JOSÉ GARCÍA


„Mrs. Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen ... Und dann, dachte Clarissa Dalloway, was für ein Morgen – frisch, wie geschaffen für Kinder am Strand.“ Mit diesem Satz beginnt Virginia Woolf (1882-1941) „Mrs. Dalloway“, ihren ersten großen Roman. Der Weg bis zu diesem Eröffnungssatz fiel ihr alles andere als leicht, denn Virginia Woolf litt unter schweren Depressionen. Wohl deshalb zog sie sich von der Großstadt London, nachdem sie dort zwei Selbstmordversuche begangen hatte, aufs Land zurück.

Der Tag des Jahres 1923, an dem Virginia Woolf (Nicole Kidman) der erste Satz ihres Romans gelingt, stellt den ersten der drei Erzählstränge dar, die der auf Michael Cunninghams Roman „Die Stunden“ (1998) basierende Film „The Hours“ miteinander verflicht. Die zweite Geschichte spielt sich im Los Angeles des Jahres 1952 ab, wo Laura Brown (Julianne Moore) ein langweiliges Mittelschichtsleben führt. Eine dritte Zeitebene fügt Regisseur Stephen Daldry mit der Verlagslektorin Clarissa Vaughan (Meryl Streep) hinzu, die im New York des Jahres 2001 für ihren ehemaligen Freund, den an AIDS erkrankten Dichter Richard, anlässlich einer Preisverleihung eine Feier ausrichten möchte. Wir durchleben einen Tag oder genauer einige Stunden – daher auch der Titel – im Leben dreier Frauen. Stunden, die freilich jeweils ein ganzes Leben bedeuten.

Motive aus dem Roman „Mrs. Dalloway“ durchziehen wie ein roter Faden diese drei Erzählstränge: Virginia arbeitet an der Entstehung des Romans selbst, während Laura unter dem Einfluss des Buches zu einer folgenschweren Entscheidung gelangt. Selbst in der dritten, in der Gegenwart stattfindenden Story, in der sich dieser Bezug zunächst kaum erschließt, entdeckt der Zuschauer bald Elemente aus Virginia Woolfs Werk. Nicht umsonst heißt die Verlagslektorin mit Vornamen Clarissa und wird von Richard durchgängig mit ironischem Unterton „Mrs. Dalloway“ genannt. Den visuellen Bogen über die drei Erzählungen schlägt Regisseur Daldry mit den Blumen, die Mrs. Dalloway „selber kaufen (wollte)“: In allen drei Geschichten werden Blumen gekauft und mit derselben Geste in eine Vase gestellt.

Allen drei Frauen, ob sie nun in den zwanziger oder fünfziger Jahren des vergangenen oder aber zu Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts leben, eint die Unzufriedenheit mit ihrem eigenen Leben. Während Virginia Woolf in der Kleinstadt, wo sie sich mit dem Dienstpersonal herumzuschlagen und gegen ihre psychische Krankheit zu kämpfen hat, förmlich erstickt, geht Laura Brown daran seelisch zugrunde, das falsche Leben zu führen: Sie hat ihren Mann nur aus Dankbarkeit, nicht aus Liebe geheiratet. Für Clarissa Vaughan bedeutete die Trennung von Richard, der sie wegen einer homosexuellen Beziehung verließ, eine traumatische Erfahrung. Sie liebt indes den sterbenskranken Dichter noch immer und sorgt für ihn.

Eine virtuos durchdachte Montage sowie exzellente Schauspieler, allen voran Nicole Kidman, Julianne Moore und Meryl Streep, die auf der Berlinale kollektiv mit dem Silbernen Bären für „die beste Schauspielerin“ ausgezeichnet wurden, gehören zu den Stärken von „The Hours“. Nicole Kidman erhielt auch den Oscar als „Beste Hauptdarstellerin“ bei der diesjährigen Verleihung. Wenn „The Hours“ allerdings insgesamt neunmal für die begehrte Trophäe nominiert und von der Jury des Deutschen Filmpreises zum „besten ausländischen Film“ gekürt wurde, dann wohl auch deshalb, weil sich „The Hours“ vor dem Zeitgeist verbeugt.

Denn der Film zeigt drei Frauen in der Falle der Gefühlsverwirrung. Diese manifestiert sich etwa in den von verdeckten bis zur Schau gestellten lesbischen Neigungen, die beim in der Jetztzeit spielenden Teil darüber hinaus mit „zeitgemäßen Begleiterscheinungen“ angereichert werden, hat Clarissa Vaughan doch ihre Tochter zur Welt gebracht, ohne deren Vater zu kennen. Drei Frauen aus drei unterschiedlichen Zeiten ohne einen erkennbaren Lebenssinn, die nach Lebensinhalt suchen könnten, denen es jedoch offensichtlich nicht darum zu tun ist. Symptomatisch für dieses Desinteresse ist die Antwort Virginias auf die Frage ihrer kleinen Nichte, was nach dem Tod geschehe: „Wir kehren dorthin zurück, wo wir her kamen und können uns nicht daran erinnern“. Einziger Ausweg aus dieser sinnlosen Existenz scheint es, diesem Leben ein Ende zu bereiten – was Laura verhältnismäßig drastisch, Virginia aufs Drastischste tut, zeigt der Film bereits im Vorspann antizipatorisch ihren Selbstmord im Jahre 1942.

Die Protagonistinnen von „The Hours“ werden aus schierer Sinnlosigkeit an den Rand des Lebensüberdrusses gebracht. Aus dieser Sackgasse herauszuführen vermag – so suggeriert dieses morbid-traurige Drama – lediglich eine Entscheidung für ein bindungsloses Leben oder ebenso gut für den Tod. Mrs. Dalloways Blumen sind kein geeigneter Ersatz für ein Leben ohne Sinn.

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