WIR SIND ALLE ERWACHSEN | Les grandes personnes
Filmische Qualität:   
Regie: Anna Novion
Darsteller: Jean-Pierre Darroussin, Anaïs Demoustier, Judith Henry, Lia Boysen, Jakob Eklund, Anastasios Soulis
Land, Jahr: Frankreich 2008
Laufzeit: 84 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 5/2009


José García
Foto: Alamode

In der malerischen, von der unvergleichlichen Mittsommer-Sonne in ein märchenhaftes Licht getauchten Westküste Schwedens siedelt die junge schwedisch-französische Regisseurin Anna Novion ihr Spielfilmdebüt „Wir sind alle erwachsen“ („Les grandes personnes“) an.

Die vier Hauptfiguren werden in diesem 84-minütigen Film schnell eingeführt: Albert (Jean-Pierre Darroussin), ein Mann mittleren Alters, kommt mit seiner 17-jährigen Tochter Jeanne (Anaïs Demoustier) auf die kleine Insel, um eine Art Bildungsurlaub zu verbringen. Der alleinerziehende Bibliothekar aus Paris und seine Tochter besuchen jeden Sommer ein anderes Land. Nach Rom und Berlin steht nun die kleine Insel auf dem Programm, wo Albert den verschollenen Schatz des Wikingers Jon-Olof Vittfön zu finden hofft.

Die penible Urlaubsorganisation Alberts erhält direkt bei der Ankunft einen Dämpfer: Das gemietete schmucke Haus ist aufgrund eines Missverständnisses von zwei Frauen in Alberts Alter bereits belegt. Obwohl sich die Vermieterin Annika (Lia Boysen) für sich und ihre französische Freundin Christine (Judith Henry) um ein Ausweichquartier bemüht, stellt sich dies in der Hochsaison als unmöglich heraus. Sie müssen sich deshalb zu viert das Haus teilen – für Jeanne offenbar eine willkommene Abwechselung, um nicht den ganzen Urlaub allein mit ihrem Vater verbringen zu müssen.

Viel passiert in „Wir sind alle erwachsen“ nicht. Jeanne lernt den jungen Johan (Björn Gustavsson) kennen, der sich als Bandleader einer lokalen Rock-Gruppe entpuppt. Das vermeintliche Rendezvous endet allerdings in einer Katastrophe. Jeanne erfährt zwar eine herbe Enttäuschung. Viel Zeit, um ihrem Liebeskummer zu frönen, bleibt ihr aber nicht. Denn zur arrangierten Feier ihres Geburtstags im Restaurant bleibt ihr Vater weg. Der Grund: Verstimmt vom Desinteresse seiner Tochter, begab sich Albert allein in einem Kanu auf Schatzsuche. Als sich das Kanu aus einer Verankerung löste, strandete der Schatzsucher auf einem Inselfels.

Diese Episode macht nicht nur Jeanne bewusst, wie viel sie trotz seiner Vereinnahmungsversuche ihren Vater liebt. Sie führt darüber hinaus in das Sujet von „Wir sind alle erwachsen“ geradewegs hinein. Denn auf der einen Seite geht es um den Abnabelungsprozess einer 17-Jährigen, um das Erwachsenwerden. „Du hast mich nie gefragt, was ich will“, sagt sie etwa einmal zu ihrem Vater, der wiederum nicht verstehen kann, dass seine großartigen Urlaubspläne bei Jeanne nicht auf bedingungslose Begeisterung stoßen.

Anna Novions Spielfilmdebüt handelt freilich nicht nur davon, wie auf der anderen Seite die Erwachsenen, insbesondere Albert, das Erwachsenwerden seiner Tochter akzeptiert. „Wir sind alle erwachsen“ zeigt ebenfalls das nicht immer so erwachsene Verhalten der Erwachsenen. Genüsslich setzt die Regisseurin etwa die Begeisterung ins Bild, mit der sich Albert wie ein kleiner Junge mit einem Metalldetektor auf die Schatzsuche begibt.

Wenig erwachsen zeigt sich der strenge Bibliothekar ebenfalls in der eher pubertären Reaktion auf die ersten Schritte seiner Tochter in Richtung Selbstständigkeit, die ihn letztendlich in eine lebensgefährliche Lage bringt.

Diese durchaus interessanten Ansätze werden leider wenig entwickelt. Anna Novion nutzt etwa das Potenzial der Nebenfiguren Annika und Christine kaum. Von Annika erfährt der Zuschauer lediglich, dass sie eines Tages ihre Jugendliebe Per (Jakob Eklund) wieder trifft, vor dem sie freilich in der Vergangenheit davongelaufen war. Unter einem erfahrenen Regisseur hätte beispielsweise Christine eine bedeutendere Rolle spielen können. Novion zeigt zwar, dass Jeanne in ihr langsam eine Art Mutterersatz zu finden scheint. Aber statt die Figur in diese Richtung weiterzuentwickeln, benutzt sie die junge Regisseurin, um zwischen Albert und ihr eine aufgesetzte Liebesgeschichte zu konstruieren.

Anne Novion zeigt zwar an einigen Stellen ein gutes Gespür fürs Inszenieren. Wenn aber „Wir sind erwachsen“ nicht ganz ins Klischeehafte kippt, dann dank vor allem der Natürlichkeit von Anaïs Demoustier. Die junge Darstellerin beweist vor allem mit ihren teils unsicheren, teils selbstbewussten Blicken Authentizität. Der erfahrene Schauspieler Jean-Pierre Darroussin versucht zwar seiner holzschnittartigen Rolle nicht nur komödiantische Aspekte abzugewinnen, eine bessere Schauspielerführung hätte aber der Figur gewiss gut getan.

Obwohl „Wir sind erwachsen“ sein Potenzial nicht ganz ausschöpft, bleibt Novions Spielfilmdebüt dank seiner liebenswerten Charakteren und der zauberhaften schwedischen Landschaft ein angenehmer, kurzweiliger Film.
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