IN DIE WELT | In die Welt
Filmische Qualität:   
Regie: Constantin Wulff
Darsteller: --
Land, Jahr: Österreich 2008
Laufzeit: 88 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 6/2009


José García
Foto: RealFiction

„Direct Cinema“ heißt eine Stilrichtung im Dokumentarfilm, die auf „reiner Beobachtung“ basiert. Die Kamera zeichnet lediglich Eindrücke auf, die dann sorgfältig zu einem Film zusammengefügt werden. Diese Methode hat Filmemacher Constantin Wulff für seinen Dokumentarfilm „In die Welt“ gewählt. Der Zuschauer wird so mit dem Geschehen in einer Wiener Geburtsklinik unmittelbar konfrontiert: Ein Kind wird im Brutkasten untersucht, Ärzte beraten sich. Scharfer Schnitt. Ultraschallbilder. Dann: Eine Frau füllt einen langen Fragebogen aus. Später wird eine Hochschwangere aufgenommen. Die unterschiedlichen Bilder, die den Alltag in einer Geburtsklinik kennzeichnen, wechseln sich ohne Kommentar, Interviews und Musik ab.

Eine erste längere Szene zeigt dann eine Geburt. Zehn lange Minuten wird der Zuschauer Zeuge des Schmerzes der werdenden Mutter („Es tut so weh!“), der Verzweiflung des Kindesvaters sowie der Anteilnahme und tatkräftigen Hilfe des Klinikpersonals. Als endlich das Kind da ist, verklärt sich der Gesichtsausdruck der erschöpften Mutter: „Mein Baby“. Ein wunderbarer Augenblick, den Constantin Wulffs Kamera aus einer respektvollen Distanz festgehalten hat. Noch zwei weitere Geburten zeigt der Dokumentarfilm „In die Welt“. Lediglich beim Kaiserschnitt, durch den das dritte Kind „in die Welt“ kommt, hebt die Kamera diese Distanz auf – die Szene ist nichts für schwache Nerven.

Constantin Wulff komponiert aus vielen Krankenhausabläufen, die für sich genommen mitunter unverständlich bleiben, von Laboruntersuchungen über das Ordnen von Medikamenten und Operationsbesteck bis zum Ausfüllen von den notwendigen Unterlagen das stimmige Bild einer Geburtsklinik.

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Interview mit Regisseur Constantin Wulff.

Wie kamen Sie auf die Idee, einen solchen Film zu drehen?

Wulff: Es gab zwei Ausgangspunkte. Der eine ist ein sehr persönlicher: Ich bin selbst Vater geworden und war bei den Geburten meiner zwei Töchter dabei. Der andere: Ich hatte mich sehr viel mit der Tradition des „Direct Cinema“ beschäftigt. Nach und nach ist der Gedanke gereift, etwas über das Thema Geburtsklinik zu machen.

Sie haben die Entscheidung getroffen, gar nichts zu erklären. Manchmal bleibt der Zuschauer etwas ratlos zurück, so etwa bei einer Sequenz im Labor, wo man das Geschehen kaum versteht. Gehörte dies von Anfang an zum Konzept?

Wulff: Das war ein Grundprinzip des ganzen Projekts. Ich wollte eine Form finden, die meinem Erleben gerecht wird. Denn alles, was um die Geburt herum geschieht, ist ein sehr emotionaler und intimer Moment. Kino kann etwas Komplexeres leisten als das Fernsehen. Bei dieser Szene war es mir wichtig, eine Ahnung zu vermitteln, dass in einer solchen Klinik die Diagnose  über Blut- und Harnproben – eine wichtige Rolle spielt. Der Film zeigt ja ein Mosaik, Fragmente, die sich gegenseitig kommentieren und ein Ganzes herstellen.

Auch die Dramaturgie ist eine Art Puzzle. Ein anderer Dokumentarfilm hätte etwa die drei Frauen parallel vom ersten Augenblick an begleitet.

Wulff: Im Zentrum steht nicht die einzige Figur, sondern die Institution, die Klinik. Man muss sich vorstellen, dass in dieser Klinik jährlich bis zu 2 500 Kinder zur Welt kommen. So folgt die Dramaturgie einem Kreislauf: Es kommen die Frauen in die Klinik, um zu gebären, und dann gehen sie wieder.

In Ihrem Film fällt auf, dass die Kamera immer aus der Distanz beobachtet, dass sie nie istisch wirkt. Inwieweit hatten Sie sich mit den darin vorkommenden Frauen abgesprochen?

Wulff: Alle, die im Film vorkommen, wurden vorher gefragt, ob wir sie filmen durften. Dies war aber schon die einzige Absprache. Alles, was passiert, ist genau das Gegenteil vom inszenierten Kino. Ab dem Moment passiert, was passiert. Die Kamera und das Tonbandgerät zeichnen auf, was wirklich geschieht.

Vor diesem Hintergrund schockt noch mehr die Szene, als eine der Schwangeren vor laufender Kamera die Diagnose erfährt, dass ihr Kind mit einem Herzfehler geboren wird. Wie haben die Protagonisten und die Filmemacher in dem Moment reagiert?

Wulff: Wir waren zur zweit, der Kameramann und ich. Das war für uns ein Schock. Wir wussten nicht, was wir mit unseren Geräten machen sollten. Für mich ist es heute noch überraschend, dass weder der Arzt noch die Mutter gesagt haben: „Aufhören mit der Aufnahme“  was für den Film wiederum ein Geschenk war. Selbst in einer so unglaublich emotionalen Szene ist es sowohl dem Arzt als auch der Frau gelungen, die Kamera zu vergessen. Sie waren so in der Situation verfangen, dass es mich bis heute noch bewegt. Diese Emotionalität, die vor aber auch hinter der Kamera stattfand, ist ins Material eingegangen. Das Ganze hat übrigens einen glücklichen Ausgang genommen: Dem Kind und der Mutter geht es gut.
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