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JOSà GARCÃA In der heutigen Filmwelt wird Lakonie vorwiegend mit den Werken Aki Kaurismäkis in Verbindung gebracht. Dass der finnische Regisseur jedoch nicht der alleinige Vertreter des wortkargen Humors ist, beweist der Film âWhat Time Is It There?â des in Malaysia geborenen, aber stets in Taiwan arbeitenden Regisseurs Tsai Ming-Liang. Nach dem Tod seines Vaters, den wir lediglich zu Beginn des Filmes in einer langen Plansequenz kennen gelernt haben, verkauft der junge Hsiao Kang Armbanduhren vor dem Hauptbahnhof Taipehs. Zu Hause fühlt sich Hsiao Kang von den buddhistischen Ritualen, in die sich seine Mutter zurückzieht, um für die Reinkarnation des Verstorbenen zu beten, immer beengter. Eines Tages erscheint vor Hsiaos Verkaufsstand die hübsche Shiang-Chyi; für ihre unmittelbar bevorstehende Reise nach Paris braucht sie eine Uhr mit doppeltem Zifferblatt, die ihr während Aufenthaltes in Europa weiterhin die Zeit zu Hause anzeigt. Shiang-Chyi gefällt am besten ausgerechnet Hsiao Kangs eigene Uhr. Nachdem sie mit dieser Uhr nach Paris abgereist ist, verfällt der Junge in eine eigenartige Stimmung: um dem Mädchen über die Distanz hinweg nahe zu sein, stellt er alle Uhren auf Pariser Zeit um. Dadurch entwickelt der Film eine eigenartige Parallelität: Während sich Hsiao Kang mit Rotwein betrinkt, muss sich das Mädchen in Paris übergeben; während er sich in Taipeh den Filmklassiker âSie küssten und sie schlugen ihnâ von François Truffaut anschaut, trifft Shiang-Chyi den Protagonisten dieses Filmes, Jean-Pierre Léaud, leibhaftig auf einem Pariser Friedhof. Der Gastauftritt Jean-Pierre Léauds stellt auch eine Hommage des taiwanesischen Regisseurs an die âNouvelle Vagueâ dar, mit der âWhat Time Is It There?â das Interesse für Einsamkeit und menschliche Entfremdung teilt. Denn die Gleichzeitigkeit, mit der beide â er in Taipeh, sie in Paris â ihrem Alleinsein vergeblich zu entfliehen versuchen, bildet das eigentliche Sujet von Tsai Ming-Liangs Film. Mit den langen Einstellungen einer beinahe unbewegten Kamera, die dem Film einen sehr langsamen Rhythmus verleihen, auf den sich der Zuschauer einlassen muss, entfaltet âWhat Time Is It There?â eine poetische, recht ausgefallene Liebesgeschichte. âWhat Time Is It There?â spielt fast ausschlieÃlich in geschlossenen Räumen; selbst von Paris sind kaum mehr als Innenräume oder die Metro zu sehen. Die wenigen AuÃenaufnahmen drücken, weil sie eher Unorte der Entfremdung als konkrete Orte darstellen, eine deprimierende Enge aus, die mit der Stimmung der Protagonisten korrespondiert. Tsai Ming-Liang gelingt dadurch, wie Kameramann Benoît Delhomme ausführt, âeine Mischung aus sehr groÃer Abstraktion und der Wirklichkeitâ. Ob nun Hsiao Kang obsessiv alle Uhren vorstellt, die er in seiner Umgebung und darüber hinaus findet, oder aber seine Mutter die umgestellte Wanduhr in der Wohnung als ein Zeichen des toten Vaters deutet, all dies gehört zum Kaurismäki würdigen lakonischen Humor, der diese melancholische Meditation über Liebe, Einsamkeit und Verlust erträglich und mitunter vergnüglich macht. |
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