THE DUST OF TIME | Trilogia II: I skoni tou chronou
Filmische Qualität:   
Regie: Theo Angelopoulos
Darsteller: Willem Dafoe, Bruno Ganz, Michel Piccoli, Irène Jacob
Land, Jahr: Griechenland / Italien / Deutschland / Frankreich / Russland 2008
Laufzeit: 125 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: S
im Kino: 10/2009


José García
Foto: NFP

Der inzwischen 74-jährige griechische Filmemacher Theo Angelopoulos ist nach Andrej Tarkowskij (1932–1986) und Krzysztof Kieślowski (1941–1996) der letzte überlebende Regisseur einer Filmtradition, die in der Folge Carl Theodor Dreyers (1889–1968) als Kino des Immateriellen oder gar des Spirituellen bezeichnet werden kann.

In der Filmografie des 2001 mit dem „Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken“ ausgezeichneten Regisseurs ragen insbesondere zwei Spielfilme heraus: „Der Blick des Odysseus“ (1995), der beim Filmfestival Cannes den Großen Preis der Jury gewann, und der in Cannes mit der Goldenen Palme prämierte „Die Ewigkeit und ein Tag“ (1998). Über die handlungsmäßigen Unterschiede hinweg eint diese zwei Filme eine lyrische Filmsprache, die sich etwa in langen Einstellungen und in einer poetischen Musik ausdrückt, sowie die Motive des Unterwegseins, der Grenzen und der Überwindung der Zeit.

Wie in „Der Blick des Odysseus“ beginnt auch der neue Spielfilm von Theo Angelopoulos „The Dust of Time“ mit der Rückkehr eines amerikanischen Filmregisseurs griechischer Abstammung nach Europa. A. (Willem Dafoe) fährt nach Italien, um in den „Cinecittà“-Studios den Film zu vollenden, den er aus unbekannten Gründen abbrechen musste.

Im Mittelpunkt des „Filmes im Film“ steht A.’ Mutter Eleni (Irène Jakob) und ihre Beziehung zu Spyros und Jacob. Eleni und Spyros lernten sich während des Zweiten Weltkriegs lernen und lieben. Konnte Spyros in die Vereinigten Staaten flüchten, so wurde Eleni mit vielen anderen politischen Häftlingen in die Sowjetunion deportiert. Spyros findet sie 1953, am Tag von Stalins Tod, in Kasachstan wieder. Nach einer leidenschaftlichen Begegnung werden sie von der Polizei verhaftet. Eleni wird, mit A. schwanger, in ein Arbeitslager nach Sibirien deportiert, wo sie im deutschen Juden Jacob (Bruno Ganz) eine große Stütze findet.

Jacob wird die Frau, die er unglücklich liebt, weil sie nur die Liebe Spyros kennt, ein halbes Leben lang begleiten, so etwa auch in den siebziger Jahren nach Amerika, wo Eleni wieder auf Spyros (Michel Piccoli) trifft. Schließlich kommen die drei an der Jahreswende 1999/2000 in Berlin zusammen, wo A.’ Tochter, die wie ihre Großmutter Eleni heißt, spurlos verschwunden ist.

In dem Maße, in dem die Szenen des „Filmes im Film“ die Anmutung einer Theaterinszenierung verlieren, um den Charakter der Film-„Wirklichkeit“ anzunehmen, verwischen sich in A.’ Welt Fiktion und Realität. Dies ist auch der Grund, warum der Regisseur seinen Film nicht vollenden kann. Dadurch drückt Theo Angelopoulos indes die Gleichzeitigkeit verschiedener Zeiten, die Überwindung der Zeit, aus.

Auf der anderen Ebene stellt „The Dust of Time“ eine Allegorie auf die Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. In dieser Geschichte, die den titelgebenden Staub der Zeit hinterlässt, spielen Grenzen eine herausragende Rolle, etwa die österreichisch-ungarische Grenze, an der sich eine Schlüsselszene abspielt.

Im Vergleich zu den Meisterwerken Angelopoulos’ kann „The Dust of Time“ leider kaum als gelungen angesehen werden. Trotz wunderschöner Bildkompositionen und traumhafter Kamerafahrten, trotz der drei wunderbaren Darsteller Jacob, Piccoli, Ganz, trotz der elegischen Musik von Eleni Karandirou wirkt die Handlung verworren, die Inszenierung teilweise zerfahren. Der fast 90-jährige Mit-Drehbuchautor Tonino Guerra, der nicht nur mit Angelopoulos, sondern auch mit Fellini und mit Tarkowskij zusammengearbeitet hat, legt hier im Unterschied etwa zu seinem Skript zu „Die Ewigkeit und ein Tag“ sein Hauptaugenmerk auf die äußeren Ereignisse, was der Geschichte nicht gut tut. Denn ihr fehlt ein Zentrum, ein Ruhepol, so dass sie zunehmend ermüdend wirkt.

Obwohl über manche Strecken des Filmes die Handschrift Angelopoulos’ erkennbar bleibt, überrascht in einem Film des großen griechischen Regisseurs manch handwerkliche Schluderei, wobei die Szenen, die in Berlin spielen sollen, aber deutlich sichtbar in Köln gedreht wurden, nicht so sehr ins Gewicht fallen. Schwerer wiegt es in diesem Zusammenhang jedoch, dass hin und wieder der Regisseur die Schauspieler kaum führt, sie etwa in einer Szene am U-Bahnhof Wittenbergplatz sich selbst überlässt.

Womöglich könnte es helfen, „The Dust of Time“ im Zusammenhang mit dem letzten Film Theo Angelopoulos’ „Die Erde weint“ zu betrachten. Denn die beiden stellen die ersten beiden Filme einer „Trilogie des Exils“ dar, in der der griechische Filmemacher eine Bilanz des 20. Jahrhunderts zu ziehen versucht. Allerdings schaffte es „Die Erde weint“, die 2004 am offiziellen Wettbewerb der Berlinale teilnahm, nicht ins deutsche reguläre Kinoprogramm.
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