KABINETT DES DOKTOR PARNASSUS, DAS | The Imaginarium of Doctor Parnassus
Filmische Qualität:   
Regie: Terry Gilliam
Darsteller: Christopher Plummer, Tom Waits, Heath Ledger, Johnny Depp, Jude Law, Colin Farrell, Lily Cole
Land, Jahr: Frankreich / Kanada / Großbritannien 2009
Laufzeit: 122 Minuten
Genre: Science-Fiction/Fantasy
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S
im Kino: 1/2010
Auf DVD: 5/2010


José García
Foto: Concorde

Der britische Regisseur Terry Gilliam hat immer wieder seine eigenwillige Handschrift unter Beweis gestellt. Ob es sich bei seinen Filmen um Zeitreisen und Zukunftsvisionen wie „Time Bandits“ (1981), „Brazil“ (1985) und „12 Monkeys“ (1995) oder um eine Neuinterpretation literarischer Stoffe, etwa „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“ (1988), „König der Fischer“ (1991) oder „Brothers Grimm“ (2005) handelt, der fließende Übergang von Fantasie und Realität ist zu Gilliams Markenzeichen geworden.

Dies zeichnet ebenfalls seinen neuen Spielfilm „Das Kabinett des Doktor Parnassus“ („The Imaginarium of Doctor Parnassus”) aus, der nach seiner Teilnahme außer Konkurrenz beim Filmfestival Cannes 2009 nun im deutschen Kinoprogramm anläuft.

Es beginnt mit einer Varietévorstellung der vom titelgebenden Doktor Parnassus (Christopher Plummer) geführten Wandertheatergruppe im heutigen London, zu der sich allerdings kaum Zuschauer eingefunden haben. Mit einem einfachen Sprung durch Dr. Parnassus’ Spiegel betritt der Zuschauer jedoch eine Welt der Fantasie, oder genauer gesagt der Träume und Wünsche desjenigen, der den Schritt tut. Denn Dr. Parnassus besitzt die Gabe, die Vorstellungskraft anderer Menschen zu beeinflussen.

Wer denkt, dabei kann es nicht mit rechten Dingen zugehen, liegt vollkommen richtig. Geht Dr. Parnassus’ Talent doch auf eine vor Jahrtausenden geschlossene Wette mit dem unter dem Namen Mr. Nick auftretenden Teufel (Tom Waits) zurück, durch die der ehemalige Buddhistenmönch Unsterblichkeit erlangte. Das verwickelte Drehbuch von Charles McKeown und Terry Gilliam, die hier zum dritten Mal ein Filmskript zusammen verfasst haben, macht allerdings eine erneute Wendung, als sich Dr. Parnassus Jahrhunderte später in eine Frau verliebt. Der Teufel gewährt ihm dann ewige Jugend. Die Gegenleistung: An dem Tag, an dem Parnassus’ Tochter Valentina (Lily Cole) 16 Jahre alt wird, soll sie Mr. Nick gehören.

Die Neuinterpretation der klassischen Topoi stellt indes lediglich einen Erzählstrang im „Kabinett des Doktor Parnassus“ dar. Im Mittelpunkt der Parallelhandlung steht ein geheimnisvoller Fremder namens Tony (Heath Ledger), der von der Russenmafia verfolgt und gehenkt wird, und in den sich Valentina unsterblich verliebt. Tony bringt frischen Wind in die Geschäfte der Theaterwandergruppe.

Dass ausgerechnet der Schauspieler, dessen Figur als für tot erklärter Gehenkter eingeführt wird, in der realen Welt mitten in den Dreharbeiten starb – Heath Ledger erlag im Januar 2008 einer Medikamentenüberdosis –, verleiht Gilliams Film freilich einen makabren Beigeschmack. Das Problem, ohne einen der Hauptdarsteller seinen Film weiter drehen zu können, löste Regisseur Terry Gilliam durch das Zauberwort „Transformation“: Da sich in der Fantasiewelt des „Imaginariums“ alles verwandelt, wird Tony nacheinander von drei weiteren Schauspielern verkörpert: Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell. Obwohl sich dies zunächst einmal als gewöhnungsbedürftig ausnimmt, funktioniert der Kniff besser, als es sich auf dem Papier liest. Der Umstand eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit der Selbstbezüglichkeit, etwa wenn Johnny Depp über Heath Ledger sagt, dass er „für immer jung“ bleibe.

Zwar hat Terry Gilliam seine Bildersprache modernisiert, weil er nicht nur im Computer erstelle Animation, sondern auch die seit Peter Jacksons „Der Herr der Ringe“-Verfilmungen beliebten Kamerafahrten in schwindelerregende Höhen samt Kameraschwenks einsetzt. Im „Kabinett des Doktor Parnassus“ entwirft der britische Filmregisseur jedoch den gleichen visuellen Gegensatz, der seine bisherigen Filme ausprägen. Erhebt die „reale Welt“ die Hässlichkeit zum Prinzip, so zeichnet sich das Universum des „Imaginariums“ durch bunte Farben und bizarre Formen aus. Erinnert etwa der vom Schmutz geprägte Schauplatz unter der Brücke an die Szenerie vom „König der Fischer“, so scheinen andere Elemente wie das Künstlerensemble unmittelbar Gilliams früherem Film „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“ entnommen zu sein. Die fantasievolle Ausstattung hilft denn auch über die Schwächen des teilweise verworrenen Drehbuchs sowie über den unregelmäßigen Rhythmus in der Inszenierung hinweg.

„Das Kabinett des Doktor Parnassus“ reflektiert auf einer weiteren Ebene aber auch insofern über das Kino selbst, als der Film die Anfänge des Mediums als Guckkasten auf dem Rummelplatz thematisiert. Die deutsche Übersetzung des Filmtitels bringt dies ebenfalls zum Ausdruck, klingt der deutschsprachige Titel doch an Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920), einen der bekanntesten expressionistischen Spielfilme, an.
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