EIN SOMMER IN NEW YORK – THE VISITOR | The Visitor
Filmische Qualität:   
Regie: Thomas McCarthy
Darsteller: Richard Jenkins, Hiam Abbass, Haaz Sleiman, Danai Gurira, Marian Seldes, Maggie Moore, Bill McHenry
Land, Jahr: USA 2007
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 1/2010
Auf DVD: 7/2010


José García
Foto: Pandastorm

Der amerikanische Independent-Film lebt, ja er ist lebendiger denn je. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt dabei das seit 1985 unter dem Vorsitz von Robert Redford alljährlich stattfindende „Sundance Film Festival“, das den außerhalb Hollywoods entstandenen Filmen eine Plattform bietet. Am Sundance-Filmfestival 2008 nahm die zweite Regiearbeit von Tom McCarthy „Ein Sommer in New York – The Visitor“ teil, dessen Spielfilmdebüt „Station Agent“ (siehe Filmarchiv) bereits McCarthys meisterhafte Fähigkeit für Charakterzeichnung und einfühlsames Erzählen unter Beweis gestellt hatte.

Im nun im regulären Kinoprogramm anlaufenden „Ein Sommer in New York – The Visitor“ lernt der Zuschauer den desillusionierten Professor Walter Vale (Richard Jenkins) kennen, der in Connecticut Wirtschaftswissenschaften lehrt. Drehbuchautor und Regisseur Tom McCarthy zeichnet Walter Vales Lebensüberdruss, der ihn nach dem Tod seiner Frau befällt, mit zwei Pinselstrichen: Zum einen durch die Gefühllosigkeit, mit der er seinen Studenten begegnet, zum andern durch die Lustlosigkeit, mit der Vale Klavierstunden nimmt. Obwohl ihm jegliches Talent dafür fehlt, versucht er sich krampfhaft daran, weil er dadurch die Nähe seiner Frau spürt, die Klavierlehrerin war.

Bewegung in Professor Vales Leben kommt, als der Wissenschaftler anstelle einer schwangeren Kollegin zu einem Globalisierungskongress nach New York fahren muss. Obwohl der Professor seit Jahren nicht mehr dort war, besitzt er noch ein kleines Appartement in Manhattan. In der vermeintlich leerstehenden Wohnung trifft Walter ein junges ausländisches Pärchen, den Syrer Tarek (Haaz Sleiman) und die Senegalesin Zainab (Danai Gurira), denen zwei Monate zuvor die Wohnung vermietet wurde – ohne Walters Wissen. Die beiden illegalen Einwanderer packen ihre Sachen zusammen. Aber da trifft Walter eine Entscheidung, die wohl am meisten ihn selbst überrascht: Die jungen Leute dürfen sich mit ihm das Appartement teilen, bis sie andere Bleibe finden.

Bald freundet sich der Professor besonders mit Tarek an. Der Syrer stellt sich als professioneller Djembe-Trommler heraus, der Walter das Trommeln beibringt. Nach und nach findet der introvertierte Professor Gefallen am Djembe-Rhythmus, was auch seinen Charakter verändert: Er öffnet sich und entdeckt eine neue Lebensfreude. Eines Tages wird bei einer Fahrkartenkontrolle in der U-Bahn Tarek festgehalten. Als die Polizei feststellt, dass er sich in den Vereinigten Staaten illegal aufhält, wird der junge Syrer in Abschiebehaft in ein Internierungszentrum nach Queens gebracht. Walter versucht zu helfen, muss aber feststellen, dass er nichts ausrichten kann. Plötzlich steht vor der Tür Tareks verwitwete, in Michigan lebende Mutter Mouna (Hiam Abbass). Walter stellt ihr Zainab vor, von der Mouna gar nichts wusste. Er begleitet sie zu einem Gespräch mit einem Rechtsanwalt. Bald muss der Professor zurück nach Connecticut, kann es aber kaum abwarten, erneut nach New York zu fahren, um sich um Tareks Angelegenheit zu kümmern, und um Mouna wiederzusehen. Denn ihre feinfühlig-zurückhaltende Art berührt in ihm eine Saite, die der einst menschenscheue Professor vergessen glaubte.

Regisseur Tom McCarthy versteht es insbesondere, der Geschichte den richtigen Rhythmus, ein wohldosiertes Tempo zu verleihen. Niemals fällt er mit der Tür ins Haus. Das Drehbuch nimmt sich vielmehr Zeit, Informationen nach und nach zu liefern. Dabei wird McCarthy in der Inszenierung von der eleganten Kameraführung des Deutschen Oliver Bokelberg und dem Schnitt von Tom McArdle kongenial unterstützt. Der Regisseur konnte insbesondere aber auf einen Hauptdarsteller setzten, der die Öffnung des einst egoistischen Professors glaubwürdig darstellt. Der 60-jährige Richard Jenkins, der bislang insbesondere in den Filmen der Coen-Brüder in Nebenrollen zu sehen war, übernimmt in „Ein Sommer in New York – The Visitor“ seine erste Hauptrolle. Und er spielt sie mit einer solchen Präsenz, dass er 2009 für den Oscar als Bester Hauptdarsteller nominiert wurde. Neben der einfühlsamen Freundschafts- und Liebesgeschichte bietet McCarthys Film auch deutliche Kritik an der Immigrationspolitik der Vereinigten Staaten, die nach dem 9. September überall Gefahren wittert. Mit „Ein Sommer in New York – The Visitor“ gewann Tom McCarthy den “Independent Spirit Award“ 2009 in der Kategorie Beste Regie.
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