MIN DÎT – DIE KINDER VON DIYARBAKIR | Min Dît
Filmische Qualität:   
Regie: Miraz Bezar
Darsteller: Senay Orak, Muhammed Al, Hakan Karsak, Berîvan Ayaz, Suzan Ilir, Fahriye Çelik, Alisan Önlü, Berivan Eminoglu, Mehmet Inci
Land, Jahr: Deutschland / Türkei 2009
Laufzeit: 102 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 4/2010
Auf DVD: 1/2011


José García
Foto: mîtosfilm

Kurdisches Kino ist mit dem Namen Bahman Ghobadi untrennbar verbunden: Seit der Regisseur kurdisch-iranischer Abstammung beim Filmfestival Cannes 2000 mit seinem ersten Spielfilm „Zeit der trunkenen Pferde“ die „Camera d’Or“ für ein Erstlingswerk gewann, hat er mit seinen Spielfilmen immer wieder auf die Lage des kurdischen Volkes aufmerksam gemacht, das seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in vier Ländern, der Türkei, Irak, Syrien und Iran verstreut lebt. „Zeit der trunkenen Pferde“ war der erste Film, der sowohl im Iran als auch in der Türkei in kurdischer Sprache im Kino gezeigt wurde.

Nun hat der Regisseur türkisch-kurdischer Abstammung Miraz Bezar, der in Ankara geboren wurde und 1980 im Alter von 9 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland auswanderte, für sein Spielfilmdebüt ein Sujet ausgewählt, das in mancher Hinsicht an Ghobadis „Zeit der trunkenen Pferde“ erinnert: „Min Dît – Die Kinder von Diyarbakir“ zeigt in teilweise dokumentarischer Anmutung und mit Laiendarstellern das Leben von kurdischen Kindern, die auf sich allein gestellt, ums Überleben kämpfen müssen – allerdings in der Türkei.

In Diyarbakir, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im anatolischen Südosten der Türkei mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit, leben die zehnjährige Gulistan (Senay Orak), ihr jüngerer Bruder Firat (Muhammed Al) und ihre Schwester im Babyalter wohlbehütet bei ihren Eltern. Ihr Vater (Alisan Önlü) gerät jedoch als regimekritischer Journalist ins Visier der paramilitärischen Todesschwadronen. Auf der Rückfahrt von einer Hochzeit wird das Familienauto von Paramilitärs angehalten, die vor den Augen der Kinder den Vater und die Mutter (Fahriye Çelik) erschießen.

Zunächst kümmert sich die junge Tante Yekbun (Berivan Eminoglu) um die völlig traumatisierten Kinder und um das Baby. Sie versucht, für die ganze Familie die Ausreise nach Schweden zu organisieren. Irgendwann einmal ist sie jedoch spurlos verschwunden, so dass die Kinder allein bleiben. Ohne Wasser und Strom können sie nicht verhindern, dass ihr kleines Geschwisterchen stirbt. Sie verkaufen alles aus der Wohnung, bis sie selbst die Wohnung räumen müssen, so dass sie schließlich auf den Straßen Diyarbakirs enden. Dort schlagen sie sich wie viele andere Kinder auch mit dem Verkauf von Billigware durch. Eines Tages entdeckt Gulistan zufällig den Mörder ihrer Eltern.

Zu den Figuren seines Filmes führt Regisseur Miraz Beraz aus: „Alles, was ich in dem Film erzähle, hat in der einen Form in Diyarbakir stattgefunden. Speziell der Überlebenskampf zweier Kinder, die ihre kleine Schwester verlieren, weil sie ganz ohne Unterstützung von Erwachsenen für sich selbst sorgen müssen, basiert auf wahren Begebenheiten.“

Mit „Min Dît –Die Kinder von Diyarbakir“ prangert der deutsch-kurdische Regisseur insbesondere die paramilitärische Einheiten an, die von keinem ordentlichen Gericht ausgesprochene Todesurteile vollstrecken, die Kurden foltern und töten. Dadurch, dass der Regisseur den Blickwinkel der Kinder einnimmt, zeigt er die Gewalt, aber auch das ganze Elend eines Lebens auf der Straße in wohltuend zurückgenommener Weise. Passend zu dieser unaufdringlichen Inszenierung zeichnet der Film den Mörder von Gulistans Eltern nicht als kaltblütigen Killer, sondern als liebevollen Familienvater.

Dies gilt insbesondere auch für Auflösung des Filmes. Obwohl sich Gulistan die Möglichkeit zur Rache bietet, entscheidet sie sich für einen anderen, für einen gewaltlosen Weg. Dieser ist von einem Märchen des kurdischen Romanciers Yasar Kemal inspiriert, das ihre ermordete Mutter für Gulistan und Firat auf Kassette aufgenommen, und das diese immer wieder gehört hatte. Im Märchen „Der Wolf mit der Glocke“ entschließen sich die Bewohner eines Dorfes, das Raubtier nicht zu töten, sondern ihm eine Glocke um den Hals zu hängen, um die Menschen vor dem bösen Wolf zu warnen.

Darüber hinaus steht laut Miraz Bezar das Märchen „für die traditionelle Weisheit, die seit Hunderten von Jahren mündlich überliefert wurden und noch nicht verlorengegangen sind. Insofern steht das Märchen im Film auch für Dinge, die nicht vom Krieg zerstört werden konnten.“

Die zurückhaltende Inszenierung mit ihrer beobachtenden Kamera lassen viel Platz für das erstaunlich natürliche Spiel der Kinderdarsteller. Insbesondere die kleine Senay Orak bliebt dem Zuschauer mit ihren schwermütigen Augen und ihrer ausdrucksstarken Darstellung einer breiten Palette von Gefühlen von Teilnahmslosigkeit bis Überlebenswillen in Erinnerung.
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