JEDEM KIND EIN INSTRUMENT | Jedem Kind ein Instrument – Ein Jahr mit vier Tönen
Filmische Qualität:   
Regie: Oliver Rauch
Darsteller: (Mitwirkende): Esragül Ciftci, Kerem Göklü, Motomu Hanada, Joana Sorge, Yusuf Caner, Michael Fuchs, Stefan Funke, Manfred Grunenberg
Land, Jahr: Deutschland 2010
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ohne Altersbeschränkung
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2010


José García
Foto: RealFiction

Anlässlich der Kulturhauptstadt Europas 2010 „Essen für das Ruhrgebiet“ beschlossen die Kulturstiftung des Bundes und das Land Nordrhein-Westfalen, das bereits 2003 in Bochum angelaufene Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ auf die gesamte Region auszudehnen, um laut der Kulturstiftung des Bundes „die Kultur in der Region auf breiter Ebene und langfristig“ zu fördern. Das mit neuem Konzept unter der Trägerschaft einer eigens dafür gegründeten Stiftung entstandene Projekt startete im Schuljahr 2007/2008 mit der Beteiligung von 522 Grundschulen. Mit ihnen arbeiten derzeit 42 Kommunen des Ruhrgebiets mit 56 Musikschulen in kommunaler und freier Träger zusammen.

Als Ergänzung zum regulären Musikunterricht ermöglicht das Projekt den Schülern in der ersten Klasse einen spielerischen Zugang zur Musik. Im zweiten Schuljahr dürfen sich die Kinder dann ein Instrument aussuchen, das sie für die nächsten drei Jahre als Dauerleihgabe anvertraut bekommen. Der Dokumentarfilmer Oliver Rauch begleitet das Projekt von dem Moment an, wo „Jedem Kind ein Instrument“ („JeKi“) auf das ganze Ruhrgebiet ausgeweitet wird, bis Anfang 2010 mit seiner Kamera.

Als dramaturgischen Zugang wählte Oliver Rauch einen ähnlichen Ansatz wie etwa „Rhythm is it!“ (siehe Filmarchiv): Der Film begleitet über ein Jahr vier Schülerinnen und Schüler in ihren Klassen, beim Musikunterricht und auch in ihrem Alltag: Motomu aus Bochum, Joana und Esragül aus Herne sowie Kerem aus Duisburg. Dadurch, dass die Kamera sie in den verschiedenen Schuljahren begleitet, wird der Prozess der Musikaneignung im Laufe der vier Jahre lebendig. So erlebt der Zuschauer, wie Kerem im ersten „JeKi“-Jahr Melodie und Rhythmus kennenlernt und mit seinen Eltern das von ihm gewählte Instrument, eine Baglama (türkische Laute), abholt. Im weiten Schuljahr stehen dann Esragül und Joana im Mittelpunkt, die das Spiel mit Gitarre beziehugsweise Geige erlernen. Motomu zeigt den Fortschritt im dritten und vierten „JeKi“-Jahr: Da darf er bereits im Ensemble musizieren.

Ohne Off-Kommentar und mit überraschend wenig Interviews beobachtet die Kamera etwa den Unterricht mit den Kindern. Sie folgt ihnen aber auch nach Hause, so dass der Zuschauer vom „Migrationshintergrund“ vieler dieser Kinder erfährt. Dies wird ebenso deutlich in den Gesprächen des Lehrers mit den Eltern, bei denen die Kinder teilweise ihren Müttern übersetzen müssen. In den mit der Kamera ebenfalls eingefangenen Treffen der Musikschulleiter kommen diese Besonderheiten etwa der „bildungsfernen“ Umgebung zur Sprache. Bei solchen Treffen werden auch skeptische Stimmen laut. Dem entgegnet indes ein Musikpädagoge aus Herne: „Wenn ich nur ein Kind zur Musik bringe, hat sich die Mühe gelohnt.“

Die Kamera ist ebenso bei einer Sitzung eines kommunalen Kulturausschusses dabei, in deren Verlauf es plötzlich zu einem handfesten Streit um die eigentliche Urheberschaft dieser Initiative kommt. Auf einmal entzündet sich eine parteipolitische Auseinandersetzung. Noch ein weiteres Mal kommt die Politik ins Bild, als der (noch amtierende) Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zusammen mit den Organisatoren von „Ruhr 2010“ und anderen Honoratioren den Darbietungen einiger „JeKi“-Schüler lauschen.

Das Filmteam um Regisseur Oliver Rauch ist darüber hinaus viel unterwegs im Ruhrgebiet – schließlich steht das gesamte Projekt im Zeichen der Kulturhauptstadt Europas „Essen für das Ruhrgebiet“. Dadurch aber, dass die Region beleuchtet wird, verdeutlicht der Dokumentarfilm die soziale Dimension des „JeKi“-Projektes. Vieles wirkt jedoch einfach weitschweifig. Wiederholungen bleiben nicht aus. Für Verwirrung sorgen darüber hinaus die Urlaubssequenzen aus der Türkei und Japan, die von zwei Familien aufgenommen wurden, und die wie ein Fremdkörper in „Jedem Kind ein Instrument“ wirken.

Spätestens hier wird es deutlich: Trotz der teilweise sicheren Kameraführung mangelt es an dem Dokumentarfilm an einer kinogerechten Dramaturgie. Die oben erwähnte Darbietung hätte der Höhepunkt der Dokumentation sein können, bleibt jedoch lediglich eine weitere Episode in diesem Kaleidoskop. Oliver Rauch legt zwar einen schönen Film über ein interessantes bildungspolitisches Projekt, eine handwerklich gelungene Begleitung des Schulprojekts vor. Einen filmischen Mehrwert vermag er jedoch nicht zu schaffen.
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