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José GarcÃa Foto: Concorde Der 1957 in Belgien geborene Regisseur Jaco van Dormael gehört wie etwa auch der Amerikaner Terrence Malick (geb. 1943) zum exklusiven Club der Filmregisseure, die in einem Zeitraum von Jahrzehnten lediglich ein paar Spielfilme gedreht, und es trotzdem geschafft haben, dass ihre Filme mit gröÃter Vorfreude erwartet werden. Nach seinem mit der âGoldenen Kameraâ für ein Erstlingswerk auf den Filmfestspielen Cannes und mit vier Europäischen Filmpreisen 1991 ausgezeichneten Spielfilmdebüt âToto der Heldâ sowie dem mehrfach prämierten âAm achten Tagâ (1996), der von der Freundschaft zwischen einem ichbezogenen Manager und einem jungen Mann mit Down-Syndrom sehr einfühlsam erzählt, legt der überwiegend als Theaterregisseur arbeitende Jaco van Dormael nach dreizehn Jahren nun seine dritte Filmregiearbeit âMr. Nobodyâ vor. Erzählten etwa âDer Zufall möglicherweiseâ (Krzysztof Kieślowski, 1981) und âLola renntâ (Tom Tykwer, 1998) hintereinander drei Fassungen derselben Geschichte, bei denen kleine Unterschiede die Handlung in eine jeweils andere Richtung trieben, so verknüpft Jaco van Dormael drei Versionen eines Lebens zu einem verschachtelten Spielfilm, dessen Rahmenhandlung in der Zukunft spielt. Im Jahre 2092 wird Nemo Nobody (Jared Leto) 118 Jahre alt. Sein 118. Geburtstag, aber noch mehr sein Sterben wird zu einer Mediensensation. Denn zu diesem Zeitpunkt besitzen die Menschen die Möglichkeit der fortwährenden Zellerneuerung â aus den Stammzellen von Schweinen (nicht aus embryonalen Stammzellen, wohlgemerkt), was zur Unsterblichkeit geführt hat. Der 1975 geborene Mr. Nobody ist der letzte noch sterbliche Mensch. Ein Ausgangspunkt, der an die Zukunftsvision von Alfonso Cuaróns âChildren of Menâ (siehe Filmarchiv) erinnert, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Denn in Cuaróns Film erschütterte im Jahre 2027 die Nachricht vom Tod des jüngsten Erdbewohners die Welt. Der Name des Protagonisten Nemo Nobody macht aus ihm einen âJedermannâ, dessen Geschichte den Anspruch einer gewissen Allgemeingültigkeit erhebt. Ein Arzt führt bei Mr. Nobody eine Hypnose durch, ein Journalist interviewt ihn. So kommen die markanten Stationen eines langen Lebens wieder zum Vorschein: Noch ungeboren in einer Art Limbus, kann sich Nemo seine Eltern aussuchen. Der Vater arbeitet als Wetterfrosch bei einer Fernsehanstalt, die Mutter ist Hausfrau. Doch die Idylle wird jäh unterbrochen, als sich Nemos Eltern scheiden lassen. Der Neunjährige muss sich am Bahnsteig entscheiden, ob er in den Zug einsteigt, mit dem seine Mutter wegfährt, oder bei seinem Vater bleibt. Eine Szene, die an Kieślowskis âDer Zufall möglicherweiseâ gemahnt, in dem drei Varianten durchgespielt werden, je nachdem ob der Protagonist noch einen Zug erreicht oder nicht. Dies ist jedoch nicht die einzige Lebensentscheidung, vor die Nemo gestellt wird. Der Greise erinnert sich, wie er als Achtjähriger an drei gleichaltrigen Mädchen vorbeischlenderte, an Anna, Elise und Jeanne. In unterschiedlichen Versionen seines Lebens wird er mit der manisch-depressiven Elise (Sarah Polley) ein schwieriges, mit der stets korrekten Jeanne (Linh Dan Pham) ein zwar bequemes, aber langweiliges Leben führen. Seine wirkliche Liebe gehört jedoch Anna (Diane Kruger), mit der er als Sechzehnjähriger (Toby Regbo) unter einem Dach leben wird, als Nemos Mutter mit Annas (Juno Temple) Vater zusammenzieht, von der er aber unglücklicherweise wieder getrennt wird. Ein Film, in dem Wirklichkeit und Fantasie kaum zu trennen sind. Dies wird besonders deutlich in der Mars-Episode, bei der Nemo als Weltraumtourist eine Reise zum Mars unternimmt, um dort die Asche seiner Frau aus einer Urne zu verstreuen, wie er es ihr in seiner Jugend versprochen hatte. Oder ist dies lediglich Teil eines Science-Fiction-Romans, den der 16-jährige Nemo auf einer alten Schreibmaschine tippt? Vielleicht war doch die in drei unterschiedlichen Varianten erzählte Lebensgeschichte lediglich die Fantasiewelt eines Neunjährigen, so der Greise selbst, der sich bei der Trennung seiner Eltern nicht für den einen oder den anderen entscheiden kann, und die unmögliche Wahl für die beiden Elternteile trifft. Trotz der allzu deutlichen Zitate, die insbesondere in der Mars-Episode irritierend wirken, weil Jaco van Dormael eine mit Wong Kar-wais â2046â (siehe Filmarchiv) verwandte Geschichte in ähnlichen Bildern erzählt und mit genau derselben Musik (âCasta Divaâ aus Vincenzo Bellinis âNormaâ) unterlegt, trotz eines überfrachteten Drehbuchs, das mühelos Stoff für gleich mehrere Spielfilme geliefert hätte, überzeugt âMr. Nobodyâ nicht nur durch seine betörenden Bilder und seine bestechende Kameraführung, seine hervorragende Ausstattung und eine immer adäquate Filmmusik, sondern auch durch seine Grundaussage von der entscheidenden Wirkung kleiner Entscheidungen im Laufe eines Lebens. |
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