ZWISCHEN UNS DAS PARADIES | Na Putu
Filmische Qualität:   
Regie: Jasmila Žbanić
Darsteller: Zrinka Cvitesic, Leon Lucev, Ermin Bravo, Mirjana Karanovic, Marija Köhn, Nina Violic
Land, Jahr: Bosnien und Herzegowina / Österreich / Deutschland / Kroatien 2010
Laufzeit: 100 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X, D
im Kino: 9/2010
Auf DVD: 4/2011


José García
Foto: Neue Visionen

Jasmila Žbanić gewann gleich mit ihrem Spielfilmdebüt „Esmas Geheimnis“ (siehe Filmarchiv) den Goldenen Bären der Berlinale. In „Esmas Geheimnis“ gesteht eine Mutter ihrer Tochter, dass sie das Ergebnis einer Vergewaltigung während des Balkankrieges ist. Der in Sarajevo geborenen Regisseurin gelang es auf diese Weise, durch das Prisma einer Mutter-Tochter-Liebesgeschichte von den Gräueln des Krieges zu erzählen.

Žbanićs zweiter Spielfilm „Zwischen und das Paradies“ („Na putu“), der am Berlinale-Wettbewerb teilnahm und im Rahmen des Filmfest München mit dem „Bernhard Wicki Filmpreis Die Brücke“ ausgezeichnet wurde, folgt einer ähnlichen Erzählstruktur: Im Mittelpunkt steht die „moderne“ Liebesbeziehung zwischen einer jungen Frau und einem jungen Mann im heutigen Sarajevo. Obwohl die alten Wunden des Balkenkrieges hin und wieder sichtbar werden, stellen sie jedoch nicht das Thema von „Zwischen und das Paradies“ dar. Dieses ist vielmehr das Erstarken des Islams in der bosnischen Gesellschaft.

Die Stewardess Luna (Zrinka Cvitesic) und der Fluglotse Amar (Leon Lucev) führen eine scheinbar unbeschwerte Beziehung ohne Trauschein, wobei die Kamera die körperliche Nähe, die Intimität betont. Weil sie sich ein Kind wünschen, es aber offensichtlich nicht bekommen können, will sich Luna einer besonderen Hormon-Therapie unterziehen. Erste Probleme treten auf, als Amar wegen Alkoholkonsums am Arbeitsplatz seine Stelle am Flughafen verliert. Ein Zufall führt Amar mit Bahrija, einem alten Kameraden aus Kriegszeiten, zusammen. Inzwischen zum streng religiösen islamischen Wahabiten konvertiert, fällt Bahrija Luna dadurch unangenehm auf, dass er sich weigert, ihr die Hand zu geben und dass er von einer verschleierten Frau begleitet wird. Einen von Bahrija in einem Wahabiten-Camp angebotenen Job nimmt Amar gegen Lunas Widerstand an. Als Amar einige Wochen später nach Sarajevo zurückkehrt, hat er sich nicht nur äußerlich – er hat sich einen Bart wachsen lassen – verändert: Er betet regelmäßig, liest religiöse Bücher und besucht die Moschee. Als schwerwiegender für die Beziehung stellt es sich heraus, dass Amar sich weigert, mit Luna zu schlafen, ehe sie vor einem muslimischen Gericht geheiratet haben. Luna versucht zunächst einmal, zu verstehen. Sie geht sogar in die Moschee, wird aber dort Zeugin, wie Bahjira eine Minderjährige zur Zweitfrau nimmt. Damit ist ihre Toleranzgrenze überschritten.

Die Dramaturgie von „Zwischen uns das Paradies“ leidet darunter, dass Jasmila Žbanić es offenkundig so eilig hat, die Auswirkungen von Amars Veränderung zu zeigen, dass sie die Gründe für diesen Sinneswandel unterschlägt. Was er etwa im Wahabiten-Camp erfahren hat, davon erfährt man als Zuschauer gar nichts. Stattdessen greift der Film auf die schmerzlichen Erinnerungen an den Krieg zurück, als Amar seine Eltern und seinen Bruder verlor. So lautet der einzige Erklärungsversuch, die Hinwendung zur Religion tue ihm gut. Vielleicht liegt dies daran, dass es die Regisseurin gar nicht um eine Islamisierung (oder besser „Wahabitisierung“) Bosniens, sondern um jegliche radikalisierte Art von Religion geht. Jasmila Žbanić: „Der Punkt ist vielmehr, inwieweit sich Amars religiöse Wandlung auf seine Beziehung zu Luna auswirkt. Obwohl Lunas Haltung oft sehr kritisch ist, ist damit nicht gemeint, dass ich in meinem Film den Islam an den Pranger stellen wollte. Ich hatte den Islam gewählt, weil er die organisierte Religion ist, mit der ich am engsten vertraut bin. Ich denke aber, ‚Zwischen uns das Paradies’ hätte genausogut über ein Paar sein können, in dem ein Partner sich plötzlich dem ultraorthodoxen Judentum, einer fundamentalistischen christlichen Sekte, oder meinetwegen Hare Krischna zuwendet.“

Im Gegensatz etwa zu Mohsen Makhmalbafs „Reise nach Kandahar“ (2001) unterscheidet „Zwischen uns das Paradies“ nicht zwischen fundamentalistischer und echter Religiosität. In Jasmila Žbanić’ Film – wie übrigens auch in Samira Makhmalbafs „Fünf Uhr am Nachmittag“ (2004, siehe Filmarchiv) – wird Religion einfach mit Fanatismus gleichgesetzt. Kennzeichnend für diese Vereinfachung ist etwa, dass die Minderjährigen-Ehe und die Enthaltung vor der Ehe als auf der gleichen Stufe stehende, von einer aufgeklärten Gesellschaft abzulehnende Praktiken angeprangert werden. Den im Film behaupteten unüberbrückbaren Widerstreit zwischen Religion und Moderne drückt ebenso der von einer verschleierten Frau im Wahabiten-Camp ausgesprochene Satz „Der Westen ruiniert das Frausein“ aus.

Die Hinwendung zur Religion führt denn auch nach Žbanićs Film zwangsläufig zu einer intoleranten, der westlichen Lebensvorstellung entgegen gesetzten Haltung. Einen Unterschied zwischen Religion und der Pervertierung der Religiosität im Fanatismus sucht der Zuschauer in diesem Film vergeblich.
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