JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN | Jud Süß – Film ohne Gewissen
Filmische Qualität:   
Regie: Oskar Roehler
Darsteller: Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnányi, Armin Rhode, Martin Feifel, Ralf Bauer, Robert Stadlober, Paula Kalenberg, Milan Peschel
Land, Jahr: Deutschland 2010
Laufzeit: 114 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: S, X +
im Kino: 9/2010
Auf DVD: 3/2011


José García
Foto: Concorde

Der Film gehörte zu den wesentlichen Stützen der nationalsozialistischen Propaganda. Der selbsternannte „Schirmherr des deutschen Films“ Joseph Goebbels instrumentalisierte das Kino, um das Denken und das Fühlen der Gesellschaft zu beeinflussen. Als Paradebeispiel für den NS-Propagandafilm gilt „Jud Süß“ von Veit Harlan aus dem Jahre 1940. Der Spielfilm fand begeisterte Zustimmung bei seinem Auftraggeber. So notierte Joseph Goebbels am 18. September 1940 in seinem Tagebuch: „Harlan Film ‚Jud-Süß‘. Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können. Ich freue mich darüber.“ Über die Wirkung von „Jud Süß“, der zur Pflichtveranstaltung für Wehrmacht und SS gemacht und bis 1943 von etwa 20 Millionen Zuschauer gesehen wurde, ist viel spekuliert worden. Ralph Giordano beschreibt seine eigene Erfahrung mit den Worten: Nach der Aufführung sei „die Luft schwer (gewesen), die mörderische Wirkung des Films überwältigend präsent. So präsent, dass ich glaubte, mich nicht erheben zu können, ohne erkannt zu werden.“

In dem nun anlaufenden Spielfilm „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ widmet sich der deutsche Regisseur Oskar Roehler nach einem Drehbuch von Klaus Richter der Entstehung des Nazi-Propagandawerks von Veit Harlan. Die deutsch-österreichische Produktion, die bei der diesjährigen Berlinale uraufgeführt wurde, konzentriert sich auf den Konflikt des Schauspielers Ferdinand Marian (Tobias Moretti), der von Goebbels (Moritz Bleibtreu) direkt die Hauptrolle angeboten bekommt, sich zunächst einmal dagegen sträubt, aber unter dem immer werdenden Druck des Propagandaministers am Ende einwilligt.

Ins Auge springt zunächst einmal, dass der von Justus von Dohnányi dargestellte „Jud Süß“-Regisseur Veit Harlan zu einer Nebenfigur, seine Frau Kristina Söderbaum (Paula Kalenberg), die immerhin in Harlans Film die wichtige Rolle der Dorothea Sturm spielte, zur bloßen Staffage degradiert wird. Aufschlussreiche Informationen über den umstrittenen Regisseur liefert etwa der inzwischen auf DVD erschienene Dokumentarfilm von Felix Moeller „Harlan – Im Schatten von Jud Süß“ (2008), der in Interviews mit Kindern und Enkelkindern, mit Filmausschnitten und Material aus dem Familienarchiv vom Schicksal der Harlan-Familie in der Nachkriegszeit erzählt.

Oskar Roehler richtet hingegen seine Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen Goebbels und Marian, weil – so betonten Drehbuchautor Klaus Richter und der Regisseur selbst auf der Berlinale-Pressekonferenz – ihr Film in keinen Dokumentarismus verfallen sollte. Dass eine bloße Aufeinanderreihung von Fakten noch keinen tauglichen Kinofilm ausmacht, wurde dem Zuschauer etwa bei Uli Edels „Der Baader Meinhof Komplex“ (siehe Filmarchiv) ja allzu deutlich. „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ muss sich denn auch an der von Klaus Richter beanspruchten „innere(n) Wahrhaftigkeit, die nicht unbedingt mit der äußeren, der dokumentarischen identisch ist“, messen. In diesem Sinne will der Regisseur nach eigenem Bekunden einen realistischen Spielfilm liefern. Dafür spricht nicht nur die von ihm bei der Pressekonferenz angesprochene „historische Präzision“ der Recherche, sondern etwa auch die die Anmutung der frühen Farbfilme imitierende Farbgebung von „Jud Süß – Film ohne Gewissen“, vor allem jedoch die in seinen Film immer wieder eingestreuten nachinszenierten Passagen des Originalfilms von 1940, die übrigens zu den Stärken von Roehlers Film gehören.

Dass bei der interpretatorischen Dramatisierung eines historischen Filmstoffes Zuspitzungen, Verschärfungen vorgenommen, ja sogar neue Charaktere hinzugefügt oder reale Personen verändert werden dürfen oder sogar müssen, steht außer Frage. Bedenklicher wird es allerdings, wenn solche Korrekturen die „innere Wahrhaftigkeit“ einer historischen Gestalt verdrehen. Dies geschieht hier etwa dadurch, dass Roehler und Richter Ferdinand Marian eine „halbjüdische“ Ehefrau (Martina Gedeck) andichten. Dazu führt Marian-Biograf Friedrich Knilli aus: „Roehler nimmt ein Argument, wie das heute sehr, sehr oft in sehr klischeehaften Darstellungen des Dritten Reichs ist: dass er sich für die Rettung eines Juden, nämlich seiner Frau einsetzt. Was er nicht getan hat. Das verfälscht die Entwicklung dieser Figur. Er wird dadurch zu einem Retter und Helden, der er nicht war“.

Die Inszenierung selbst stiftet beim Zuschauer außerdem Verwirrung. Denn „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ chargiert zwischen Realismus und Satire, die insbesondere in der Charakterisierung des Propagandaministers zum Ausdruck kommt. Moritz Bleibtreu ahmt das Nachziehen des Beines, den rheinischen Dialekt, das auf die Brust des Gegenüber Klopfen nach. Dennoch: Machen diese Äußerlichkeiten die Person Joseph Goebbels aus? Bleibtreus Imitation stellt sich als der reine Manierismus heraus: Form originalgetreu, Inhalt leider entseelt. Seine Goebbels-Karikatur belastet den ganzen Film unverhältnismäßig.
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