CATO | Cato
Filmische Qualität:   
Regie: Dagmar Brendecke
Darsteller: (Sprecher): Anna Thalbach, Inka Loewendorf, Thomas Holländer, Tilo Prückner, Fabian Goerres
Land, Jahr: Deutschland 2010
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2010


José García
Foto: RealFiction

Die Zeit drängt. 65 Jahre nach Kriegsende ist Eile geboten, um die Zeugnisse einer Generation festzuhalten, die den Krieg und die nationalsozialistische Schreckensherrschaft bewusst erlebt haben. Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, drückte es Mitte April bei der Gedenkfeier anlässlich des 65. Jahrestags der Befreiung von den NS-Konzentrationslagern mit den Worten aus, womöglich sei dies die „letzte große Begegnung mit den Überlebenden“ der Konzentrationslager und der Todesmärsche gewesen. Was für die Überlebenden der NS-Konzentrationslager gilt, trifft ebenfalls auf die Zeitzeugen der von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfer zu. Denn sie können über Menschen lebendig berichten, die teilweise dem Vergessen anheim gefallen sind. Dieses Anliegen verfolgt Dagmar Brendecke mit ihrem Dokumentarfilm „Cato“, der dem Zuschauer eine weitestgehend unbekannte Widerstandskämpferin näher zu bringen sucht.

Die 1920 geborene Cato Bontjes van Beek, die am 5. August 1943 zusammen mit 15 weiteren Verurteilten in Berlin-Plötzensee durch das Fallbeil hingerichtet wurde, ist trotz des 2003 von Hermann Vinke vorgelegten, 223 Seiten starken Buches „Cato Bontjes van Beek – ‚Ich habe nicht um mein Leben gebettelt’: ein Porträt“, das in der „Zeit“ (vom 28. Mai 2003) von keinem Geringeren als Helmut Schmidt rezensiert wurde, kaum einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

Im Gespräch mit Catos jüngeren Geschwistern Mietje (geb. 1922) und Tim (geb. 1923) rekonstruiert der Film Catos Kindheit in Fischerhude, unweit von Bremen. Als älteste Tochter eines Künstlerehepaars – Mutter Olga war Ausdruckstänzerin und Malerin, Vater Jan wurde ein berühmter Keramik-Künstler – wuchs sie in einem Klima voller Kunst und lebhafter Diskussionen auf. Die frohe Kindheit erhält allerdings einen ersten Rückschlag, als sich 1933 die Eltern scheiden lassen, und ihr Vater nach Berlin zieht. Im malerischen Fischerhude lernte sie übrigens 1938 Helmut Schmidt kennen, worauf der spätere deutsche Bundeskanzler in seinem erwähnten Artikel hinweist.

Ende 1938 zog Cato zu ihrem Vater und dessen zweiter Ehefrau Rahel-Maria nach Berlin, wo nun auch ihre Schwester Mietje lebte. Nach Kriegsbeginn versorgen die Schwestern französische Kriegsgefangene, dir mit der S-Bahn durch Berlin transportiert wurden. Nach Mietjes Erinnerung begriffen sie es nicht so sehr als eine politische Aktion denn als ein Abenteuer.

Die Parallelen zu Sophie Scholl sind kaum zu übersehen. Cato wurde etwa ein halbes Jahr vor Sophie geboren, beide wurden in etwa gleichem Alter (Sophie drei Monate vor ihrem 22., Cato ein paar Monate vor ihrem 23. Geburtstag) wegen Widerstand gegen die Nationalsozialisten hingerichtet. Aber auch der Satz aus einer Aufzeichnung Catos „Ich suche die Wahrheit. Es kann nur eine geben“ erinnert sehr an die innere Krise und die Suche Sophie Scholls in den Jahren vor der „Weißen Rose“. Wie Sophie liebte Cato Literatur, besuchte Vorträge und Konzerte in Berlin.

Wohl durch diese Veranstaltungen lernt Cato Bontjes van Beek den Lyriker Heinz Strelow kennen, mit dem sie Flugblätter verfasst – eine weitere Parallele zur „Weißen Rose“. Eine dieser Flugschriften, 1942 von Harro Schulze-Boysen unter dem Pseudonym „Agis“ mit dem Titel „Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk“ verfasst, wird ihr zum Verhängnis. Cato wird am 20.09.1942 verhaftet und verbringt bis zu ihrer Hinrichtung im August 1943 mehrere Monate im Gefängnis, in denen sie zu vertiefter Religiosität findet und die Hoffnung bewahrt, am Leben zu bleiben. Aus dieser Zeit berichtet sehr lebhaft im Film der Maler Rainer Küchenmeister, dessen Zelle unmittelbar unter Catos Zelle lag. Obwohl sie sich nie persönlich begegneten, erfanden die beiden jungen Leute ein Kommunikationssystem, das zu einer tiefen Freundschaft führte.

Autorin Dagmar Brendecke verknüpft die Interviews mit den Zeitzeugen mit Aufzeichnungen der jungen Cato, die von der Schauspielerin Anna Thalbach gesprochen werden, und die einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Nach dem Krieg wurde Cato wegen ihrer Kontakte zur kommunistisch geprägten „Roten Kapelle“ lange Zeit als Verräterin angesehen. Dazu führt Helmut Schmidt aus: „Es bleibt nachzutragen, dass der seinerzeitige Chefankläger des Reichskriegsgerichtes, ein Mann namens Dr. Manfred Roeder, der vor dem Senat für die Mehrzahl der Angeklagten der Roten Kapelle die Todesstrafe beantragt hatte, nach dem Kriege diese Gruppe und ihre Überlebenden bei der amerikanischen Besatzungsmacht dahin gehend denunzierte, sie stünden den Interessen der USA entgegen.“ Das gegen Cato verhängte Todesurteil wurde denn auch erst 1999 aufgehoben.

Brendeckes Filmportrait bringt dem Zuschauer eine kaum bekannte Widerstandskämpferin näher. Wie dringend eine solche Spurensuche ist, ergibt sich etwa aus dem Umstand, dass der für diesen Film so wichtige Zeuge Rainer Küchenmeister im Mai 2010 verstorben ist.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren