OSKAR UND DIE DAME IN ROSA | Oscar et la dame rose
Filmische Qualität:   
Regie: Eric Emmanuel Schmitt
Darsteller: Amir, Michèle Laroque, Max von Sydow, Mathilde Goffart, Amira Casar
Land, Jahr: Frankreich / Belgien 2009
Laufzeit: 104 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 10/2010
Auf DVD: 2/2011


José García
Foto: Kinowelt

Der Schülerstreich zu Beginn lässt den Zuschauer an Kästners „Fliegendes Klassenzimmer“ oder, weil es sich bei „Oskar und die Dame in Rosa“ um einen französischen Spielfilm handelt, etwa an das Internat für schwererziehbare Jungen im Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ denken. Dass aber der Lehrer bei Oskar alles durchgehen lässt, macht stutzig. Bald erfährt der Zuschauer den Grund: Die Schulklasse befindet sich in einem altmodischen Kinder-Krankenhaus. Bei Oskar (Amir) hat die Knochenmarktransplantation nicht angeschlagen, so dass die Ärzte den zehnjährigen Jungen bereits aufgegeben haben.

Mehr als die Tatsache, dass er bald sterben wird, stört Oskar jedoch die Unfähigkeit der Erwachsenen, mit ihm darüber zu reden. Der kahlgeschorene Junge belauscht das Gespräch, bei dem der Klinikleiter Dr. Dusseldorf (Max von Sydow) seinen Eltern die niederschmetternde Diagnose mitteilt. Weil sie sich unfähig fühlen, ihren Sohn daraufhin zu besuchen, zeigt sich Oskar von den Eltern zutiefst enttäuscht. Ebenso verbittert ihn die distanzierte Art, wie das Krankenhauspersonal mit ihm umgeht, als sei er ein schlechter Kranker. Oskar beschließt, mit keinem Erwachsenen mehr zu sprechen.

Erst als Oskar im Treppenhaus mit einer ganz in Rosa gekleideten Frau mittleren Alters (Michèle Laroque) zusammenstößt, die wie ein Rohrspatz schimpft, kann er wieder lachen. Fortan will Oskar nur noch von der geheimnisvollen „Dame in Rosa“ besucht werden. Diese stellt sich allerdings als Lieferantin ihrer selbstgebackenen „Pinky Pizzas“ heraus, die keine Lust hat, die Seelsorgerin zu spielen. Lediglich die Abmachung mit Dr. Dusseldorf, ihre Pizzas zu kaufen, wenn sie den Jungen besucht, lässt sie umstimmen. Die Dame bringt Oskar eine Schneekugel mit einem Wrestling-Ring mit, um ihm von ihren Ringkämpfen als Catcherin mit dem Beinamen „Würgerin des Languedoc“ zu erzählen. Als Gegenleistung fordert die Dame den Jungen auf, jeden Tag einen Brief an den lieben Gott zu schreiben, in dem er seine Wünsche und Gedanken mitteilt. „Ich glaube nicht an den Weihnachtsmann, aber an Gott“, führt sie dazu aus. Vor allem aber erfindet die Dame in Rosa ein „Spiel“, das Oskar seine letzten Tage besonders intensiv erleben lässt: Er soll jeden Tag wie ein Jahrzehnt ansehen, so dass er an einem einzelnen Tag soviel erlebt wie andere in zehn Jahren. So erlebt Oskar mit der gleichaltrigen Peggy Blue (Mathilde Goffart) seine erste Liebe, durchlebt die Jahre der Reife und des Alters. Durch diesen poetischen Kniff gewinnt der Junge sein Leben zurück und bereitet sich auf den Tod vor.

Bei der Verfilmung seines gleichnamigen, 2002 erschienenen Romans „Oscar et la dame rose“ (deutsch „Oskar und die Dame in Rose“, 2003) ist Eric Emmanuel Schmitt gewiss nicht alles gelungen: Einige Situationen wirken konstruiert und die Dialoge teilweise gestelzt. Auch erweisen sich etwa einige Traumszenen nicht nur als kitschig, sondern schlicht als überflüssig. Dennoch: „Oskar und die Dame in Rosa“ besticht durch den Drahtseilakt zwischen Tragödie und Komödie oder auch zwischen Realismus und Poesie, der durch den Kontrast zwischen den grauen Ansichten des unmodernen Krankenhauses und den knallbunten Wrestlingssequenzen ins Bild gesetzt wird. Zur Leichtigkeit des Balanceaktes trägt insbesondere auch die Filmmusik von Michel Legrand bei. Vor allem jedoch überzeugen das zurückgenommene Spiel des kleinen Amir sowie die schauspielerische Leistung Michèle Laroques, deren Dame in Rose sich von einer zickigen, mit sich selbst unzufriedenen Egoistin zur mitfühlenden Ersatzmutter glaubwürdig wandelt.

Bei der Verleihung des Prädikats „besonders wertvoll“ urteilt die Filmbewertungsstelle Wiesbaden: „Mit besonderer Eleganz und Leichtigkeit setzt diese Literaturverfilmung dramatische Themen um Liebe, Tod, Verlust und Glauben fesselnd und ergreifend um“. Dem Film merkt man als Zuschauer das Herzblut des Autors und Regisseurs an. Denn in „Oskar und die Dame in Rose“ hat Eric Emmanuel Schmitt Autobiografisches einfließen lassen: Wie Oskar erlebte er als kleiner Junge eine schwere Krankheit und vor allem das Schweigen der Erwachsenen. Auch er glaubte nach dem Beispiel seiner Eltern nicht an Gott, bis er sich als Erwachsener dem Christentum zuwandte.

So erstaunt es nicht, dass die Dame in Rose Oskar nicht nur Fantasie und Liebe, sondern auch das Beten und den Glauben nahebringt. Besonders ergreifend drückt es der Film in einer Szene aus, als die Dame den Jungen in eine Kirche bringt. Auf den Einwand Oskars, ob Gott das Leid verhindern könnte, antwortet sie, das könne niemand: „Weder du, noch ich, noch er.“ Dann aber lässt sie Oskar auf den Gekreuzigten schauen, und stellt die schlichte Frage: „Wem fühlst Du Dich näher: Einem Gott, der leidet oder einem, der nichts empfindet?“
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