IN IHREN AUGEN | El secreto de sus ojos
Filmische Qualität:   
Regie: Juan José Campanella
Darsteller: Darín, Soledad Villamil, Guillermo Francella, Pablo Rago, Javier Godino
Land, Jahr: Argentinien / Spanien 2009
Laufzeit: 129 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G, X, D
im Kino: 10/2010
Auf DVD: 3/2011


José García
Foto: Camino

Anfang März gab bei der Oscarverleihung in der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“ die Filmakademie der Vereinigten Staaten gegenüber dem favorisierten deutschen Beitrag, dem Golden-Globe- und Cannes-Gewinner „Das weiße Band“ (siehe Filmarchiv), dem argentinischen Spielfilm „In ihren Augen“ („El secreto de sus ojos“) von Juan José Campanella den Vorzug. Was damals als Überraschung gewertet wurde, stellt sich nun, da Campanellas Film im deutschen Kinoprogramm anläuft, als völlig nachvollziehbare Entscheidung heraus. Denn „In ihren Augen“ gehört eindeutig zu den Höhepunkten des Kinojahres.

Basierend auf dem Roman „La pregunta de sus ojos“ (Die Frage seiner/ihrer Augen) von Eduardo Sacheri aus dem Jahre 2005 verknüpft das von Sacheri selbst zusammen mit Regisseur Campanella verfasste Drehbuch zwei Zeitebenen und mehrere Genres miteinander: Im Jahre 2000 beschließt der inzwischen pensionierte Justizbeamte Benjamín Espósito (Ricardo Darín), einen ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Fall, der seiner Meinung nach niemals vollständig aufgeklärt wurde, in einem Roman aufzuarbeiten.

Damals, 1974, arbeitete Espósito bei einem Gericht in Buenos Aires. In ihre neue Vorgesetzte, die junge Richterin aus gutem Haus Irene Menéndez Hastings (Soledad Villamil), hatte er sich zwar auf den ersten Blick verliebt. Aber der Alters- und vor allem der Klassenunterschied hatten ihn all die Jahre daran gehindert, ihr seine Liebe zu erklären. Espósito und sein dem Alkohol zugetaner Kompagnon Pablo Sandoval (Guillermo Francella) werden mit der Aufklärung der Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau betraut, deren Ehemann Ricardo Morales (Pablo Rago) sich in geradezu obsessiver Weise der Suche nach dem Mörder verschreibt. Ein altes Foto, auf dem Espósito einen außergewöhnlich schauenden jungen Mann entdeckt („Ich glaube, ich hab's einfach in seinem Blick gesehen. Das war der Schlüssel“), bringt ihn auf die richtige Spur. Isidoro Gómez (Javier Godino) wird überführt und zu einer lebenslangen Strafe verurteilt. Ein Jahr später sieht ihn jedoch der Justizbeamte als Personenschützer im Dienste des Staates in einer Fernsehreportage. Gómez wurde aus dem Gefängnis entlassen und für eine paramilitärische Organisation angeheuert.

Abgesehen von der herausragenden schauspielerischen Leistung von Ricardo Darín und Soledad Villamil bestechen insbesondere die Bilder des Kameramanns Félix Monti, der etwa im Justizpalast zwischen klaustrophobischen und Einstellungen der großen, leeren Räume das Gleichgewicht hält, und in einer spannungsgeladenen Plansequenz in den Katakomben eines Fußballstadions einen visuellen Kontrapunkt zu den vorhergehenden Szenen liefert. Dazu führt Juan José Campanella in einem Interview aus: „Ich fühlte, dass der Film in diesem Augenblick eine Art Trommelwirbel, körperliche Energie brauchte. Denn bis dahin war alles sehr kopflastig gewesen… Der Fußballmatch lieferte mir den Rahmen für diese rohe, körperbetonte Komponente.“ Die häufigen Naheinstellungen der Kamera betonen vor allem eine Intensität der Blicke, die immer wieder die Handlung vorantreibt.

Der hervorragende Schnitt, für den Regisseur Campanella selbst verantwortlich zeichnet, verwebt die unterschiedlichen Zeitebenen exzellent miteinander. Das vielschichtige Drehbuch verknüpft darüber hinaus den Justizthriller mit einer ein Vierteljahrhundert andauernden Liebesgeschichte und vor allem mit der Geschichte Argentiniens. Aus der Kriminalgeschichte wird ein Politthriller, weil die persönliche Geschichte von Menschen, die „zu dem Schluss kommen, dass man die Vergangenheit nicht verstecken kann, dass man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen muss” (Regisseur Campanella) mit der Geschichte Argentiniens unmittelbar vor dem Militärputsch 1976 verbindet. In den Jahren 1974-76 begünstigte die Regierung Isabel Peróns die Gründung der antikommunistischen Terror-Organisation „Triple A“, die sich als Vorläufer des Staatsterrorismus der Militärdiktatur herausstellen sollte. In den Film „In ihren Augen“ bildet die politische Situation jedoch nicht in konventioneller Art die Folie, auf der sich die Handlung entwickelt. Die „dramaturgisch unorthodoxe Weise“ (Campanella), in der sie vielmehr in die Handlung seines Filmes einbricht, zeugt von einem souveränen Umgang des Regisseurs mit der Filmsprache und hinterlässt beim Zuschauer eine nachhaltige Wirkung.

„In ihren Augen“ ist ein vielschichtiger, hervorragend gespielter, grandios inszenierter und mit einer gehörigen Portion trockenen Humors angereichter Film, der in seinem Eintreten für eine zweite Chance auf den zwei Filmebenen das moralische Urteilsvermögen des Zuschauers herausfordert.
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