CARLOS – DER SCHAKAL | Carlos the Jackal
Filmische Qualität:   
Regie: Olivier Assayas
Darsteller: : Édgar Ramírez, Nora von Waldstätten, Alexander Scheer, Ahmat Kaabour
Land, Jahr: Frankreich / Deutschland 2010
Laufzeit: 187 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G +, S, X
im Kino: 11/2010
Auf DVD: 5/2011


José García
Foto: NFP

Er war in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der meistgesuchte Terrorist der Welt. Einer, der den international agierenden Terrorismus überhaupt mit erfand. Damals, zur Zeit des Kalten Krieges, umgab „Carlos“ aber auch eine Aura, der neue Che Guevara zu sein. Nicht unwesentlich trug dazu ein Bild bei, auf dem er einen kurzen Bart und eine Baskenmütze trägt. „Carlos“ steht 1975, nachdem die Geiselnahme der OPEC-Minister in Wien beendet wurde, auf dem Rollfeld des Flughafens von Algier, und lächelt. Dieses Lächeln ergründen zu wollen, stand für den französischen Regisseur Olivier Assayas am Anfang seines Projektes für den Kinofilm „Carlos – Der Schakal“, der nach seiner Teilnahme am diesjährigen Filmfestival in Cannes nun im Kino anläuft. Ursprünglich als Dreiteiler fürs Fernsehen konzipiert, wird „Carlos – Der Schakal“ zwar in einigen Kinos als 330-minütige Vollversion, in den meisten Lichtspielhäusern aber als dreistündige Fassung gezeigt, auf der auch vorliegende Besprechung basiert.

Der Film erzählt in chronologischer Reihenfolge vom Aufstieg und Fall von Ilich Ramírez Sánchez, genannt „Carlos“ (Édgar Ramírez). Nach einer kurzen Einführung des Protagonisten in Paris, bei der er einer Bekannten über seine Vorstellungen vom „revolutionären Kampf“ erzählt, beginnt der Film über den Terroristen mit einem brutalen Attentat in London im Juni 1973. Daraufhin fliegt der junge Venezonaler nach Beirut, um bei der Palästinensischen Front zur Befreiung Palästinas (PFLP) anzuheuern. In deren Namen verübt „Carlos“ in London und Paris Anschläge, ehe er im Juni 1975 dadurch knapp einer Verhaftung entkommt, dass er zwei Agenten des französischen Geheimdienstes DST tötet und einen dritten schwer verletzt. Zwei Monate später wird er von PFLP-Führer Waddi Haddad (Ahmat Kaabour) als Chef seiner wohl bekanntesten Aktion vorgesehen: die Geiselnahme auf der OPEC-Konferenz in Wien. Der etwa eineinhalbstündige „Film im Film“ nimmt sich als dramaturgisch stimmiges Herzstück von „Carlos – Der Schakal“ aus. Was dann – wenigstens in der dreistündigen Fassung – folgt, erinnert eher an Uli Edels „Der Baader Meinhof Komplex“ (siehe Filmarchiv): Der ständige Schauplatzwechsel, die kaum umrissenen Figuren, die Vielzahl an Aktionen führen dazu, dass der Zuschauer leicht den Überblick verliert. Regisseur Assayas lässt lediglich zwei dieser Figuren Gestalt annehmen: Magdalena Kopp (Nora von Waldstätten), die Carlos 1979 heiratete und mit der er 1986 die Tochter Elba Rosa bekam, sowie Johannes Weinrich (Alexander Scheer), der Carlos’ rechte Hand und dessen Verbindungsmann zur Stasi in Ostberlin sowie im gesamten Ostblock wird.

Der dritte Filmteil beginnt nach etwa zweieinhalb Stunden mit dem Tag, der „alles verändert“: Der 9. November 1989. Das Ende des Kalten Krieges stellt für Carlos den Beginn einer Odyssee dar. Immer weniger Länder sind bereit, den von Frankreich und der CIA gesuchten Terroristen aufzunehmen. Der Internationalist wird ein Heimatloser, den keiner haben will: Nach Syrien, Libyen und wieder Syrien landet er irgendwann einmal unter falschem Namen in der sudanesischen Hauptstadt Khartum, wo er auch im August 1994 vom französischen Geheimdienst verhaftet (oder entführt) wird.

Unterlegt von meist fetziger Musik verknüpft der Schnitt von Luc Barnier und Marion Monnier gekonnt dokumentarische mit Bildern des Spielfilms: Mal wird eine TV-Reportage eingeblendet, mal werden echte Dokumentaraufnahmen mit gespielten Einstellungen gegengeschnitten, manchmal gehen die echten (schwarzweißen) Bilder in
(Farb-)Bilder aus dem Spielfilm über. Diese aufwändige Montage zusammen mit dem bis in die Details sorgfältig herausgearbeiteten Produktionsdesign soll vor allem Authentizität vermitteln. Olivier Assayas und sein Mitautor Dan Franck haben zwei Jahre lang am Drehbuch gearbeitet, um die umfangreiche historische und journalistische Recherche mit fiktionalen Passagen zu ergänzen. Zur Authentizität trägt aber insbesondere auch die chamäleonartigen Veränderungen des Hauptdarstellers Édgar Ramírez bei.

Obwohl in manchen Passagen „Carlos – Der Schakal“ hart an der Grenze zum Terrorismus-Verklärung vorbeischrammt, zeichnet Assayas’ Film letztlich das Bild eines eitlen Genussmenschen, der kaltblutig Menschen hinrichtet und seine Ideale von einst auf dem Altar seiner Selbstverliebtheit opfert.

Wie beispielhaft die Szene verdeutlicht, in der KGB-Chef Juri Andropow in Bagdad Vertreter verschiedener linksextremer Organisationen versammelt, um sie zur Ermordung des ägyptischen Staatschefs Sadat aufzurufen, bietet Assayas’ Film darüber hinaus ein stimmiges Bild der durch den Kalten Krieg geprägten Frontenbildung, in die Ilich Ramírez Sánchez alias „Carlos“ eingebunden, an der er aber schlussendlich zerrieben wurde.
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