EIN GUTES HERZ | The Good Heart
Filmische Qualität:   
Regie: Dagur Kári
Darsteller: Brian Cox, Paul Dano, Isild Le Besco, Stephanie Szostak, Damian Young, Clark Middleton
Land, Jahr: Dänemark / Island / USA / Frankreich / Deutschland 2009
Laufzeit: 95 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: D
im Kino: 11/2010
Auf DVD: 2/2011


José García
Foto: Alamode

Die Filme, die Jim Jarmusch in den achtziger Jahren drehte, etwa „Stranger Than Paradise“ (1983), zeigten eine Sicht der Vereinigten Staaten und besonders New Yorks, die zu den allgemein bekannten Postkartenbildern nicht gegensätzlicher sein könnte. An diese Bilder eines schmutzigen New York lassen die meisten Einstellungen denken, die der isländische Regisseur Dagur Kári in seinem neuen Film „Ein gutes Herz“ bietet, so beispielsweise der Blick auf Manhattan vom Fenster eines Krankenhauses aus.

In besagtem Krankenhaus lernen sich zwei Außenseiter kennen: Der griesgrämige Barbesitzer alter Schule Jacques (Brian Cox) wurde nach seinem fünften Herzinfarkt, der junge Obdachlose Lucas (Paul Dano) nach einem amateurhaften Selbstmordversuch hier eingeliefert, und teilen sich nun ein Zimmer. Mit dem Menschenverächter Jacques, der die Krankenschwestern mit offen rassistischen und frauenfeindlichen Beschimpfungen terrorisiert, kommt allein der gutherzige Lucas klar. Wohl deshalb wählt ihn der misanthropische Barkeeper zu seinem Nachfolger aus. Er bietet dem gutmütigen, irgendwie lebensunfähigen jungen Mann in seiner heruntergekommenen Kneipe mit dem hochfliegenden Namen „House of Oysters“ eine Bleibe und eine Stelle als Lehrling. Nachdem Jacques für Lucas den korrekten Haarschnitt und frische Kleidung gewählt hat, kann die Lehre beginnen. Lernen muss Lucas etwa, wie man die perfekte Tasse Espresso zubereitet, ganz gleich wie oft er üben muss, sowie welcher Stammgast welches Getränk in welchem Glas bevorzugt. Zu Jacques’ Maximen, die dessen ernannter Nachfolger zu beherzigen hat, gehört insbesondere auch, dass ein Barmann seine Kunden lieber eine Spur zu unfreundlich behandelt als dass er sich mit ihnen verbrüdert. Vor allem aber: Jacques duldet keine Laufkundschaft und schon gar keine Frauen in seiner Bar.

Eines Abends taucht die nach ihrer Entlassung verzweifelte, betrunkene und regendurchnässte Stewardess April (Isild Le Besco) unvermittelt in der Bar auf. Lucas bringt es nicht übers Herz, sie wieder fortzuschicken, womit er allerdings einen handfesten Streit mit dem notorisch frauenfeindlichen Jacques riskiert. Erst recht, als April und Lucas, die inzwischen heimlich geheiratet haben, einen erneuten Krankenhausaufenthalt des alten Mannes ausnutzen, um die Bar zu verschönern und heller zu gestalten. In diesem modernen Großstadt-Märchen kommt jedoch alles anders als man denkt, mitsamt unverhofftem, aber unvermeidlichem, tragischem Ende.

Zu den in ein bläulich-kaltes Licht getauchten, grauen bis dunkelgrauen Bildern eines verwahrlosten New York gesellen sich Charaktere, die in ihrer skurrilen Liebenswürdigkeit einem Film von Aki Kaurismäki entliehen zu sein scheinen. Brian Cox gestaltet den schroffen, bärbeißigen Alten freilich so einnehmend, dass der Zuschauer ihn sofort ins Herz schließt. Diese Ambivalenz erstreckt sich aber auch auf Lucas, der seinerseits im Laufe der Zeit im Kontakt mit Jacques zunehmend hart und verbittert wird. Ebenso extravagant zeichnet Drehbuchautor und Regisseur Dagur Kári die weiteren Figuren des Films, von der Stewardess mit Flugangst über den geheimnisvollen Gast, der immer in derselben Ecke sitzt, bis zu allen anderen Stammgästen in Jacques’ Bar. Zwar erhalten sie kaum Konturen, aber in ihrer Ansammlung gleichen sie – etwa wenn sie mit Pappmasken im Gesicht und einer Geburtstagstorte auf dem Tresen Jacques eine kleine Feier ausrichten wollen, die der ruppige Wirt natürlich sofort unterbindet – einem Jahrmarkts-Kuriositätenkabinett. Um nicht zu sprechen von der Gans, die immer wieder aus ihrem Verschlag mitten in der Kneipe ausbricht, und eine bedeutende Rolle in der Geschichte spielen wird.

Passend zu solcher Skurrilität zeichnen sich die Dialoge durch einen trockenen, lakonischen Humor aus, wozu auch die von Dagur Káris eigener Band Slowblow beigesteuerte, leicht melancholische Filmmusik entscheidend beiträgt. Die atmosphärisch dichte Inszenierung und die Konzentration auf einen geschlossenen Raum, in dem sich „Ein gutes Herz“ weitestgehend abspielt, verleihen dem Film eine kammerspielartige Anmutung. Dagur Káris Vorliebe für Existenzen am Rande der Gesellschaft beweist eine tiefe Menschlichkeit, die zwar wehmütig macht, aber auch an „ein gutes Herz“ glauben lässt.
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