THE TOURIST | The Tourist
Filmische Qualität:   
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
Darsteller: Angelina Jolie, Johnny Depp, Paul Bettany, Timothy Dalton, Steven Berkoff, Rufus Sewell, Ralf Moeller, Raoul Bova, Julien Baumgartner
Land, Jahr: USA / Frankreich 2010
Laufzeit: 97 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 12/2010
Auf DVD: 4/2011


José García
Foto: Kinowelt

„Das Leben der Anderen“ (siehe Filmarchiv) machte nicht zuletzt dadurch, dass der Spielfilm mit dem Oscar als „Bester fremdsprachiger Film“ ausgezeichnet wurde, Florian Henckel von Donnersmarck weltberühmt. Was kann aber ein Regisseur, nachdem er mit seinem Erstlingswerk einen der wichtigsten deutschen Filme der letzten Jahrzehnte geliefert hatte, als nächstes Projekt in Angriff nehmen? In einem Interview führte der Regisseur dazu aus: „Mit dem Oscar ist es leichter, ein Projekt auf die Beine zu stellen, Macht zu bekommen. Aber das Filmemachen wird nicht leichter davon.“ Anders ausgedrückt: Der inzwischen nach Hollywood übergesiedelte deutsche Regisseur konnte sich den Stoff für seinen nächsten Film selbst aussuchen, wobei freilich die Erwartungen ungemein hochgeschraubt waren.

Florian Henckel von Donnersmarck entschied sich, ehe er wieder zu einem düster-schweren Sujet zurückkehrt, einen Genrefilm „einzuschieben“. Denn der nun anlaufende „The Tourist“ nimmt sich wie einer der Agentenfilme mit wechselnden Identitäten, lebensgefährlichen Verwechselungen und überraschenden Wendungen aus, die im klassischen Hollywood-Film der fünfziger und sechziger Jahre große Verbreitung fanden, und etwa in Alfred Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ („North by Northwest“, 1959) und in Stanley Donens „Charade“ (1963) ihren Höhepunkt erreichten.

Die ersten Bilder des Filmes liefert eine Observationskamera: Von einem Lieferwagen aus verfolgen französische Polizisten eine attraktive Frau, die sich auf dem Kopfsteinpflaster von Paris auf hohen Absätzen und in enganliegendem Kleid wie auf einem Laufsteg bewegt. Elise Clifton Ward (Angelina Jolie) wird beobachtet, weil sie die Polizei zu einem der meistgesuchten Betrügern führen kann: Ihr Verlobter Alexander Pearce schuldet dem englischen Finanzamt 877 Millionen Pfund. Kein Wunder, dass die von Chefinspektor Jones (Timothy Dalton) geleitete Abteilung für Wirtschaftskriminalität bei Scotland Yard den mit dem Fall betrauten Inspektor John Acheson (Paul Bettany) mächtig unter Druck setzt, um Alexander Pearce ausfindig zu machen. Die Fahndung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass sich der gewiefte ehemalige Buchhalter des Gangsters Mr. Shaw (Stephen Berkoff) das Gesicht so operieren ließ, dass sein jetziges Aussehen niemand kennt, nicht einmal Elise Ward.

Wie es so in Agentenfilmen geht, erhält sie in einem Café einen Brief des mysteriösen Pearce zugestellt: Sie soll sich in der Gare du Nord in den Zug setzen, der um 8.22 Uhr abfährt, und sich dort einen Mann mit seiner – Pearces – Statur „aussuchen“. Auf diese Weise gerät der unauffällige, titelgebende Tourist Frank Tupelo (Johnny Depp) scheinbar zufällig ins Visier von Interpol und Gangstern, die den Mathematiklehrer aus Wisconsin für den gesuchten Pearce halten und bald durch Venedig jagen.

Die Ähnlichkeit mit den Filmen Alfred Hitchcocks beschränkt sich nicht auf die wendungsreiche Handlung. Darüber hinaus übernimmt in „The Tourist“ Angelina Jolie eine ähnliche Funktion wie Grace Kelly etwa in „Bei Anruf Mord“ (1954) oder „Über den Dächern von Nizza“ (1955): Sie ist Dreh- und Angelpunkt des ganze Filmes. John Seales Kamera liebkost sie, nicht selten in leichter Untersicht, um sie besser zur Geltung zu bringen. Demgegenüber spielt Johnny Depp den „Jedermann“, der vermeintlich wider Willen in einen Strudel von Verfolgungsjagden hineingerät, mit ähnlich zurückgenommener Haltung wie Cary Grant den harmlosen Werbefachmann, der ahnungslos in „Der unsichtbare Dritte“ (1959) in Geheimdienstintrigen verwickelt wurde.

Zwar kommt in „The Tourist“ die moderne Kommunikationstechnik nicht zu kurz – beispielsweise wird ein im Zug aufgenommenes Foto in Bruchteilen von Sekunden ins Hauptquartier von Scotland Yard übertragen und dort sofort per Scanner für eine weltweite Suche im Rechner eingesetzt. Die Inszenierung gestaltet Henckel von Donnersmarck jedoch ganz klassisch: Der für große Hollywood-Produktionen wie „Rain Man“, „Gorillas im Nebel“ oder „Der englische Patient“ bekannte Kameramann John Seales liefert keine schnell geschnittenen Wackelbilder aus der Handkamera, sondern Hochglanzaufnahmen von Venedig und von mit viel Liebe zum Detail ausgestatteten, noblen Interieurs. Dass beim Agentenfilm der Humor nicht zu kurz kommt, dafür sorgen „running gags“ wie eine elektronische Zigarette oder der Hang Johnny Depps alias Frank Tupelo, jeden Italiener auf Spanisch anzusprechen.

Obwohl von der amerikanischen Filmkritik verrissen, wurde „The Tourist“ vom „Auslandspresseverband Hollywood“ (HFPA) am Dienstag für drei „Golden Globe“-Preise nominiert. Die Tiefgründigkeit seines Erstlingswerks „Das Leben der Anderen“ besitzt „The Tourist“ gewiss nicht. Wer dies erwartet, muss sich noch gedulden, bis Florian Henckel von Donnersmarck das nach eigenen Angaben bereits fertig gestellte Drehbuch zu seinem nächsten Film umsetzt. Aber unterhaltsames Hollywood-Kino in bester klassischer Tradition ist der neue Film des deutschen Regisseurs mit Wohnsitz in Los Angeles durchaus geworden.
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