2030 – AUFSTAND DER JUNGEN | 2030 – Aufstand der Jungen
Filmische Qualität:   
Regie: Jörg Lühdorff
Darsteller: Bettina Zimmermann, Barnaby Metschurat, Lavinia Wilson, Kathrin von Steinburg, Martin Hentschel, Ralph Herforth
Land, Jahr: Deutschland 2010
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Science-Fiction/Fantasy
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
Auf DVD: 1/2011


José García
Foto: universum

Zu den Stärken des Mediums Film gehört es, aus der konsequenten Weiterführung gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungen ein Zukunftsszenario zu entwerfen, das in seiner Anschaulichkeit den Zuschauer aufrüttelt. Dass eine solche Vorstellung nicht denselben Anspruch auf Wissenschaftlichkeit wie etwa die Trend- beziehungsweise Zukunftsforschung erheben kann, dass sie vielmehr breiten Raum für Fiktionales bietet, tut es der gesellschaftspolitischen Funktion einer derartigen Zukunftsvision keinen Abbruch – vorausgesetzt, diese verliert sich nicht in wilden Spekulationen, sondern geht von einer gesicherten Sachlage aus.

Jörg Lühdorffs Doku-Fiction „2030 – Aufstand der Jungen“ basiert auf „harten“ demografischen Fakten: Mit einem prognostizierten Rentneranteil von 46,2 Prozent wird im Jahre 2030 die deutsche Bevölkerung die älteste in Europa sein. Welche Risiken und Nebenwirkungen die Überalterung der Gesellschaft in etwa zwanzig Jahren bergen kann, davon handelt „2030 – Aufstand der Jungen“. Das Format einer fiktionalen Dokumentation („Doku-Fiction“) verknüpft Elemente der klassischen TV-Dokumentation mit der Dramaturgie des Fernsehspiels: „Wir verpacken Fakten und Zahlen in eine spannende und hoch emotionale Geschichte, um die Zuschauer für ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema“, so Heiner Gatzemeier, ZDF-Redaktionsleiter Zeitgeschehen.

Eingebunden in die fiktive Dokumentation, für die eine junge Journalistin recherchiert, erzählt „2030 – Aufstand der Jungen“ von Tim Burdenksi (Barnaby Metschurat), der sich schwer verletzt über den Berliner Gendarmenmarkt schleppt. Tim wurde bei dem Versuch, illegal in den nationalen Hochsicherheitsserver einzudringen, ertappt und beim Fluchtversuch angeschossen. Die Nachricht, der 30-jährige Tim sei bald darauf im Krankenhaus verstorben, weckt das Interesse der Fernsehreporterin Lena Bach (Bettina Zimmermann). Denn Tim stand zeit seines Lebens im Licht der Öffentlichkeit: Er gehört zu den zehn „Millenniumskindern“, deren Leben seit ihrer Geburt im Jahre 2000 in einer Langzeitdokumentation verfolgt wird.

Lena sucht Antworten auf die Frage, was Tim zur illegalen Hacker-Tat bewogen haben könnte. Stutzig macht sie insbesondere, dass Tims Leichnam ohne Obduktion offenbar in großer Eile eingeäschert wurde. Mitten in ihren Recherchen taucht ein weiteres Millenniumskind auf: Sophie Schäfer (Lavinia Wilson) ist felsenfest davon überzeugt, dass ihr langjähriger Freund Tim lebt. Die erfolgreiche Unternehmerin ist schockiert, als sie zusammen mit Lena herausfindet, dass ihr ehemaliger Freund entgegen dem Bild in den Medien hochverschuldet in bedrückender Armut lebte. Die beiden jungen Frauen rekonstruieren Tims für das Jahr 2030 offenbar gar nicht so untypische Biografie: Obwohl künstlerisch hochbegabt, konnte sich Tim ein Studium gar nicht leisten. Zunächst fand er eine Festanstellung als Grafikdesigner. Nach der betriebsbedingten Kündigung hielt sich der junge Mann mit zahlreichen Nebenjobs über Wasser. Als aber Tims geliebte Oma zum Pflegefall wurde und die Familie einen großen Teil der Pflegekosten tragen musste, schnappte die Schuldenfalle endgültig zu.

Die Suche nach Tim führt die jungen Frauen ins von Armut und Kriminalität geprägte Schöneberger Ghetto „Höllenberg“, wo sie auf die von Vincent Fischer (Ralph Herforth) gegründete Initiative „Hoffnungstal“ stoßen. Fischer hilft mit Nachbarschaftshilfe und Eigeninitiative Menschen, die dem Staat den Rücken gekehrt haben und illegal im eigenen Land leben. Nachdem er ihnen fingierte Totenscheine ausgestellt hat, leben sie dort „ohne Rechte, aber auch ohne Schulden.“

Regisseur Jörg Lühdorff entwirft ein Horrorszenario: Der Überwachungsstaat ist allgegenwärtig, der Generationspakt aufgekündigt. Die gesellschaftliche Schere ist so weit auseinandergegangen, dass viele Menschen im sozialen Tod den einzigen Ausweg finden, während die Wohlsituierten in eleganten Büro- und Wohnhäusern residieren. Weil lediglich einige Modespielereien in der Kleidung oder das VW-Auto 2030 einen leicht futuristischen Touch besitzen, vermittelt das Produktionsdesign den Eindruck, diese Welt unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von der Realität im Jahre 2011. Der größte Unterschied findet sich wohl im rechtsfreien Raum „Höllenberg“, der an bekannte Science-Fiction-Szenarien, etwa John Carpenters New York in „Die Klapperschlange“ (1981) oder Alfonso Cuaróns London in „Children of Men“, angelehnt ist. Obwohl Jörg Lühdorff offensichtlich nicht das gleiche Budget zur Verfügung stand wie Carpenter oder Cuarón, schafft sein Film eine ähnliche atmosphärische Wirkung: Der Zuschauer kann nur hoffen, dass das in „2030 – Aufstand der Jungen“ entworfene Szenario reine Fiktion bleibt.
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