72 STUNDEN – THE NEXT THREE DAYS | The Next Three Days
Filmische Qualität:   
Regie: Paul Haggis
Darsteller: Russell Crowe, Elizabeth Banks, Liam Neeson, Olivia Wilde, Brian Dennehy, Jonathan Tucker, RZA, Lennie James, Jason Beghe, Moran Atias
Land, Jahr: USA 2010
Laufzeit: 133 Minuten
Genre: Thriller
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 1/2010
Auf DVD: 1/2012


José García
Foto: Kinowelt

Der Jedermann, der unter außergewöhnlichen Umständen über sich hinauswächst und etwas ganz und gar Ungewöhnliches vollbringt, gehört eigentlich seit dem klassischen Westernfilm zu den Topoi des Hollywood-Figurenrepertoires. Alfred Hitchcock leitete diese Figur etwa in „Der Mann, der zu viel wusste“ (1956) in das Thriller-Genre über: Um seine Familie zu retten, muss der von James Stewart verkörperte, durchschnittliche Bürger spektakuläre, ihm völlig ungewohnte Maßnahmen ergreifen.

In einer verzweifelten Lage befindet sich auch der unauffällige Englisch-Professor John Brennan (Russell Crowe) aus Pittsburgh in Paul Haggins Thriller „72 Stunden – The Next Three Days“, nachdem seine Frau Lara (Elizabeth Banks) aus heiterem Himmel wegen Mordes verhaftet wird. Lara soll auf einem Parkplatz ihre Chefin erschlagen haben. Alle Indizien sprechen gegen sie, so Laras Fingerabdrücke auf der Tatwaffe und das Blut des Opfers an ihrem Mantel, das die junge Frau abzuwaschen versuchte. Brennan lässt nichts unversucht, um die Unschuld seiner Frau zu beweisen, während Sohn Luke (Ty Simpkins) immer mehr unter der Trennung leidet. Als jedoch drei Jahre später Lara rechtskräftig zu jahrzehntelanger Haft verurteilt wird und nur knapp einen Selbstmordversuch überlebt, sieht Brennan einen einzigen Ausweg, um die Familie zusammenzuhalten: Er muss sie eigenhändig aus dem Gefängnis befreien.

Wie plant jedoch ein unbescholtener Bürger, der lediglich bei seinen Besuchen mit den Sicherheitsvorkehrungen einer Justizvollzugsanstalt Bekanntschaft gemacht hat, den perfekten Gefängnisausbruch? Über Google lernt Brennan den Ausbrecherkönig Damon Pennington (Liam Neeson) kennen, der in einem Handbuch „Siebenmal aus dem Gefängnis ausgebrochen“ über seine Erfahrungen berichtet. Bei einem konspirativen Treffen erläutert ihm Damon, dass es nicht nur auf die unmittelbare Zeit nach dem womöglich geglückten Ausbruch, sondern ebenso darauf ankommt, sich eine neue Identität zu verschaffen. Also muss der unauffällige Dozent in die Unterwelt hinabsteigen, um an gefälschte Pässe zu kommen – was sich als nicht so einfach herausstellt. Wie für eine wissenschaftliche Arbeit plant John Brennan auf seiner Wohnzimmerwand alle Details. Plötzlich stehen ihm allerdings nur 72 Stunden zur Verfügung, die bleibende Zeit, bis Lara in ein weit entferntes Gefängnis verlegt werden soll. Nun heißt es auf einmal: alles riskieren.

Regisseur Paul Haggis ist vor allem für seine Oscargekrönten Drehbücher für Clint Eastwoods „Million Dollar Baby“ (2004) und für „L.A. Crash“ (2004) bekannt, bei dem er auch Regie führte. Im Gegensatz zu diesen Filmen nimmt sich das von Regisseur Haggis selbst verfasste Drehbuch zu „72 Stunden – The Next Three Days“ jedoch als zu uneinheitlich aus. Die erste Hälfte etabliert nicht nur die Figuren, insbesondere Johns unbedingte Liebe zu seiner Frau und seinen unerschütterlichen Glauben an ihre Unschuld. Sie wird darüber hinaus mit allerlei Details überfrachtet, etwa mit den YouTube-Videos, von denen sich John beispielsweise für das Knacken von Türschlössern mit Hilfe eines Tennisballs Verbrechertipps holt. Je wahrscheinlicher Paul Haggis Johns „Verbrecher-Lehre“ erscheinen lassen will, umso unglaubwürdiger wirkt sie aber. Selbst auf die lange in der Schwebe gehaltene Frage, ob Laura schuldig oder unschuldig ist, fühlt sich der Drehbuchautor und Regisseur genötigt, mittels Rückblenden eine bis ins allerletzte Detail eindeutige Antwort zu geben – was nicht gerade von der Subtilität der Inszenierung zeugt.

Mit dem schleppenden ersten Teil kontrastiert die zweite Filmhälfte, in der „72 Stunden – The Next Three Days“ zu einem adrenalingeladenen Actionthriller wird. Obwohl auch hier teilweise mit unnötigen, unwahrscheinlichen Elementen zusätzlich Spannung erzeugt wird, stellt Paul Haggis unter Beweis, dass er einen Actionfilm handwerklich inszenieren kann: Der von der rastlosen Filmmusik von Danny Elfman und Alberto Iglesias unterstützte, sorgfältige Schnitt lässt einerseits den Zuschauer bei der Parallelmontage den Überblick in keinem Augenblick verlieren, erzeugt andererseits genretypische Spannung, ob das waghalsige Unternehmen gelingen wird.

Trotz logischer Unstimmigkeiten und inszenatorischer Schwächen besticht jedoch in „72 Stunden – The Next Three Days“ das Psychogramm seiner Hauptfigur, die zudem von Russell Crowe mit zurückgenommenem Spiel verkörpert wird. Crowes John Brennan überzeugt als Durchschnittsbürger, der aus Liebe zu seiner Familie über sich hinauswächst, als Jedermann, der es mit seinem unbedingten Willen schafft, aus der auswegslosen Lage herauszubrechen.

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