127 HOURS | 127 Hours
Filmische Qualität:   
Regie: Danny Boyle
Darsteller: James Franco, Amber Tamblyn, Kate Mara, Clémence Poésy, Kate Burton, Lizzy Caplan, Treat Williams, John Lawrence, Darin Southam, Norman Lehnert, Jeffrey Wood
Land, Jahr: USA / Großbritannien 2010
Laufzeit: 89 Minuten
Genre: Dramen
Publikum:
Einschränkungen: G +
im Kino: 2/2011
Auf DVD: 7/2011


José García
Foto: 20th Century Fox

Nach seinem mit acht Oscars ausgezeichneten Film „Slumdog Millionär“ (siehe Filmarchiv) wechselt Regisseur Danny Boyle von den belebten Straßen der indischen Metropole Mumbai die einsame Wüste des Bluejohn Canyon in Utah in seinem aktuellen Film.

Dort stürzte im Frühsommer 2003 der damals 27-jährige Aron Ralston bei einer Solo-Tour in eine Felsspalte, wobei sein Arm von einem gelösten Felsbrocken eingeklemmt wurde. Die von Aron Ralston in seinem Buch „Im Canyon“ („Between a Rock and a Hard Place“) beschriebenen Erlebnisse hat der britische Regisseur in seinem nun startenden Spielfilm „127 Hours“ verfilmt. Bevor es jedoch zu diesem folgenschweren Unfall kommt, entfaltet Boyles Film ein regelrechtes Bilder- und Musikfeuerwerk auf der Leinwand: A.R. Rahman, der bereits für den Soundtrack von „Slumdog Millionär“ verantwortlich zeichnete, liefert ein technoartiges Sounddesign zu den mit Splitscreen-Einlagen angereicherten schnellgeschnittenen Sequenzen, in denen Aron Ralston (James Franco) mit ziemlichem Tempo auf seinem Mountainbike durch die Wüste jagt. Dann trifft er auf die zwei jungen Wanderinnen Kristi (Kate Mara) und Megan (Amber Tamblyn), die er durch die Schluchten bis tief in einen unterirdischen See führt. Als er wieder allein seine Wanderung fortführt, geschieht das lebensgefährliche Missgeschick: Ein abstürzender Felsbrocken rollt auf seinen Arm. Eingeklemmt in einer winzigen, abgelegenen Schlucht, scheint die Lage aussichtslos: Den Felsen kann er nicht bewegen, seine Hilferufe hört niemand, ein Handy – falls überhaupt dort Empfang sein sollte – hat Aron auch nicht dabei. Er ist vollkommen auf sich allein gestellt, denn der junge Mann hatte außerdem seine Route niemandem mitgeteilt.

Der Film rekonstruiert alle Versuche des jungen Mannes, sich etwa durch einen Seilzug oder durch Abschleifen des Felsbrockens zu befreien. Alles zwecklos. Die Tage vergehen, das Wasser wird knapp. Ein Platzregen überschwemmt beinah die Schlucht. Bald fängt Aron an zu halluzinieren. Bilder von seinem bisherigen Leben ziehen an ihm vorüber: Seine Eltern und die Schwester, die Freundin, mit der er sich verkracht und wieder ausgesöhnt hat, und dann eine Art Vorahnung: Der junge Mann sieht ein Kind, das sein eigenes sein könnte. Diese Vorstellung gibt ihm die Kraft, zum äußersten Mittel zu greifen, den bereits abgestorbenen Unterarm abzutrennen. Die realistische Art, wie der Film dies zeigt, verlangt vom Zuschauer freilich Einiges ab.

Um aus der statischen Situation dieses Ein-Personen-Dramas einen kinotauglichen Film zu entwickeln, greift Regisseur Danny Boyle auf einige Kunstgriffe zurück. Dramaturgisch macht er es sich zunutze, dass der authentische Aron Ralston eine digitale Videokamera dabei hatte, mit der er vermeintlich letzte Botschaften an seine Eltern und seine Freundin aufzeichnete. Tatsächlich dienten diese Videoaufnahmen zusammen mit Ralstons Buch Danny Boyle und Simon Beaufoy als Vorlage für ihr Drehbuch. Darüber hinaus loten die beiden Kameramänner Anthony Dod Mantle und Enrique Chediak mit immer neuen Perspektiven und Einstellungen samt Kamerafahrten von der Schlucht aus buchstäblich in den Himmel hinauf alle möglichen Darstellungsvarianten in dem winzigen Raum aus.

Obwohl die Schauplätze von Boyles letztem Film „Slumdog Millionär“ und dem aktuellen „127 Hours“ nicht unterschiedlicher sein könnten, drängen sich einige Gemeinsamkeiten auf: Schwankte in „Slumdog Millionär“ die Kamera von Anthony Dod Mantle zwischen panoramaartigen Landschaftsaufnahmen und mit der Handkamera aufgenommenen Sequenzen klaustrophobischer Enge in der Großstadt, so weiten hier Mantle und Chediak ebenfalls ständig den Blick auf die menschenleere, weite Wüste. Der Regisseur setzt außerdem auf einen Schauspieler, der die unterschiedlichen Stimmungen glaubwürdig darstellt. James Franco trägt so gut wie den ganzen Film allein. Für dieses nuancierte Psychogramm wurde der amerikanische Schauspieler für den Oscar nominiert.

Aber auch inhaltlich zeigen sich Ähnlichkeiten zwischen beiden Filmen: Kämpfte in „Slumdog Millionär“ der Protagonist gegen alle Hoffnung, um seine Liebe wiederzufinden, so stemmt sich Aron in „127 Hours“ mit aller Kraft gegen sein Schicksal. Der letzte Beweggrund für seine verzweifelte Tat liegt ebenfalls in der Liebe, deshalb im Abspann auch der echte Aron Ralston zusammen mit seiner Frau und seinem Kind auf einer Couch sitzend zu sehen ist. Aus dem egozentrischen Abenteurer ist ein liebender Familienvater geworden.
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