WINTER’S BONE | Winter's Bone
Filmische Qualität:   
Regie: Debra Granik
Darsteller: Jennifer Lawrence, John Hawkes, Kevin Breznahan, Dale Dickey, Garret Dillahunt, Sheryl Lee, Lauren Sweetser, Tate Taylor, Isaiah Stone, Ashlee Thompson
Land, Jahr: USA 2010
Laufzeit: 100 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 3/2011
Auf DVD: 9/2011


José García
Foto: Ascot Elite

Die ländliche Seite der Vereinigten Staaten kennt der europäische Kino-Zuschauer insbesondere durch die Filme der Coen-Brüder: Ethan und Joel Coen zeigen stets, von ihrem Debüt „Blood Simple“ (1984) über „Fargo“ (1996) bis „No Country for Old Men“ (2007), eine allgegenwärtige, urtümliche und sinnlose Gewalt. In all diesen Filmen stellen sie jedoch der Monstrosität der simpel gestrickten, brutalen Mörder immer wieder eine weibliche Person gegenüber, der die Empathie des Publikums gilt. Eine solche Figur steht ebenfalls im Mittelpunkt von Debra Graniks „Winter’s Bone“, der auf dem Sundance Filmfestival 2010 den Großen Preis der Jury gewann.

Die 17-jährige Ree (Jennifer Lawrence) zieht ihren zwölfjährigen Bruder Sonny (Isaiah Stone) und ihre sechsjährige Schwester Ashlee (Ashlee Thompson) in einer abgelegenen Blockhütte im tiefsten Hinterland der Ozark Mountains groß, wo sie zusammen mit ihrer psychisch kranken Mutter leben. Der Vater Jessup, der wie viele andere Menschen im südlichen Missouri von der Herstellung der halbsynthetischen Droge „Meth“ (N-Methylamphetamin) lebt, ist auf Kaution freigelassen. Da er aber zu einem angesetzten Gerichtstermin nicht erschien, taucht der Sheriff bei Ree auf: Sollte sich Jessup nicht innerhalb von sieben Tagen melden, wird das als Sicherheit für die Kaution eingesetzte Haus der Familie samt Grundstück verpfändet. Ree macht sich notgedrungen auf die Suche nach ihrem Vater.

Basierend auf dem Roman „Winters Knochen“ (2011) von Daniel Woodrell zeigt Debra Granik eine Reise in eine Welt, in der Gewalt und ein ehernes Gesetz des Schweigens herrscht: Ihr Onkel Teardrop (John Hawkes) weist Ree zwar ab, aber es wird allzu deutlich, dass er mehr weiß, als er zuzugeben bereit ist. Die junge Frau wendet sich an den „Paten“ Thump Milton, den Drahtzieher der legalen und illegalen Geschäfte in der Gegend, mit der sie entfernt verwandt ist. Der mysteriöse Milton empfängt sie nicht einmal. Mit ihrer Hartnäckigkeit handelt sich Ree lediglich Prügel von zwei Frauen aus der Umgebung des Paten ein. Irgendwann einmal steht es für Ree fest, dass ihr Vater gestorben ist. Um die Pfändung des Hauses abzuwehren, muss sie es allerdings beweisen. Eine gefährliche und makabre Reise beginnt.

Als „naturalistisches Thriller-Drama“ bezeichnen die Filmemacher „Winter’s Bone“. Zwar besitzt der Film insbesondere in der Suche nach dem verschwundenen Vater einige Thriller-Elemente. Letztlich überwiegt aber das Drama, ohne dass die teilweise dokumentarisch anmutende Inszenierung jedoch in Rührseligkeit verfällt. Obwohl die Rohheit der Menschen, die sie bevölkern, in der kargen Landschaft und in den verfallenen Häusern eine Entsprechung findet, tappt Debra Granik nicht in die Falle, aus der bedrohlichen Situation für Ree und ihre Geschwister melodramatisches Kapital zu schlagen.

Dass der Film dieses Gleichgewicht wahrt, verdankt er größtenteils seiner Hauptfigur Ree, über die Regisseurin Granik ausführt: „Ich sehe sie als eine Löwin, die ihren Stolz bewahren möchte. Gleichzeitig ist sie aber auch ein Teenager, der hilflos mitansehen muss, wenn Erwachsene in ihrer Nähe tödliche Entscheidungen treffen und einen Lebensweg einschlagen, der sie hinunterzieht und zerstört.“ Die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 19-jährige Jennifer Lawrence gestaltet Ree mit einer ausgewogenen Mischung aus Zerbrechlichkeit und eiserner Entschlossenheit, die sich Gefühlen einer falschen Rührung gänzlich verschließt. Ebenso wenig dienen die wenigen Szenen, in denen die Geschwisterliebe zum Tragen kommt, dazu, die Kinder als niedlich darzustellen.

Die beobachtende, naturalistisch erscheinende Kamera von Michael McDonough trägt in höchstem Maße dazu bei, eine düstere Atmosphäre zu schaffen, die über dem ganzen Film liegt. Ohne näher darauf einzugehen, spürt die genau beobachtete Milieustudie die Hauptursache für den moralischen Verfall der Dorfgemeinschaft auf: Die Menschen in „Winter’s Bone“ leben von der Herstellung der Droge „Crystal Meth“. Die zerstörerische Wirkung dieses Betäubungsmittels, von der man sich etwa bei YouTube-Reportagen ein Bild machen kann, wird von Debra Granik in ihrem Film schonungslos bebildert: Im Hof liegende Abfälle, heruntergekommene Behausungen, ausgebrannte „Meth“-Küchen und insbesondere auch verbitterte Menschen mit verhärmten Gesichtszügen.

„Winter’s Bone“ handelt darüber hinaus von der Bedeutung der Familie, die im Film ambivalent erscheint: Einerseits ziehen die mafiösen und teilweise inzestuösen Beziehungen den Einzelnen in eine Spirale von Drogen, Armut und Gewalt hinein. Andererseits erscheint sie Ree als schützenswerter Rückzugsraum – nicht von ungefähr kämpft sie wild entschlossen für die Erhaltung der Lebensgrundlage ihrer Familie.
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