GELIEBTES LEBEN | Life, above all
Filmische Qualität:   
Regie: Oliver Schmitz
Darsteller: Khomotso Manyaka, Lerato Mvelase, Harriet Manamela, Tinah Mnumzana
Land, Jahr: Südafrika / Deutschland 2010
Laufzeit: 105 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 5/2011
Auf DVD: 10/2011


José García
Foto: Senator

Eine der furchtbarsten Auswirkungen der Immunschwächekrankheit AIDS sind die Millionen Kinder, die insbesondere in Afrika ohne Eltern aufwachsen oder selbst HIV-positiv auf die Welt kommen. Allein in Südafrika gibt es ca. 800.000 „Aidswaisen“. Die Folgen dieser Pandemie für die Familie stehen denn auch im Mittelpunkt des Spielfilmes „Geliebtes Leben“ („Life, Above All“) des südafrikanischen Regisseurs mit deutschen Wurzeln Oliver Schmitz, der den Roman „Chanda’s Secret“ (auf deutsch unter dem Titel „Worüber keiner spricht“ erschienen) des kanadischen Autors Allan Stratton für die große Leinwand adaptiert.

Die zwölfjährige Chanda (Khomotso Manyaka) wächst in einfachen Verhältnissen in der sudafrikanischen Provinz auf. Chanda ist eine gute Schülerin und macht sich Hoffnungen für ihre Zukunft. Diese Hoffnungen werden aber an dem Tag vereitelt, als ihre einjährige Halbschwester Sara stirbt. Chanda muss nicht nur beim Bestatter einen Sarg aussuchen, sondern auch ihrem Stiefvater Jonah (Aubrey Poolo) das für das Begräbnis bereitgestellte Geld wieder abnehmen, das er an sich genommen hatte. Zu Saras Beerdigung erscheint aus der Familie der Mutter Lilian (Lerato Mvelase) lediglich Tante Lizbet, die bei ihrer Abreise Lilian mit der Behauptung konfrontiert, sie sei an Saras Tod schuld.

Chanda bekommt zunehmend Schwierigkeiten: Stiefvater Jonah verschwindet und ihre Mutter Lilian nimmt stark ab, friert sogar mitten im Sommer. Chanda muss die Verantwortung für ihre zwei jüngeren Halbgeschwister übernehmen. Langsam ändert sich auch die Stimmung im Dorf: Die einst so zuvorkommende Nachbarschaft meidet die Familie zunehmend und die nette Nachbarin Mrs. Tafa (Harriet Manamela) mischt sich mehr ein, als dem Mädchen lieb ist. So schärft sie Chanda ein, dass ihre beste Freundin Esther (Keaobaka Makanyane) kein Umgang für sie sei. Denn, so wird im Dorf gemunkelt, Esther sei eine Prostituierte. Allen Schwierigkeiten zum Trotz lässt sich Chanda nicht unterkriegen. Nachdem ihre Mutter in ihr Heimatdorf abgereist war und wochenlang kein Lebenszeichen von sich gibt, reist ihr das mutige Mädchen nach.

Ein in Südafrika spielender Film über Aids zumal mit einem gerade einmal 12-jährigen Mädchen als Hauptfigur hätte leicht zu einem tränenreichen Melodram geraten können. Dem begegnet Regisseur Oliver Schmitz insbesondere dadurch, dass er „Geliebtes Leben“ mit schnörkellosem, teilweise dokumentarisch anmutendem Realismus inszeniert. Wie stigmatisierend die Immunkrankheit Aids wirken kann, verdeutlicht Regisseur Schmitz anhand der Reaktionen durch die Nachbarschaft: Die Angst vor Aids lässt sie an Dämonen glauben, über die Familie Böses reden, ja sogar einmal nach dem infizierten Stiefvater mit Steinen werfen. Die anfangs so sympathische Mrs. Tafa schickt schließlich die kranke Lilian weg. Aids-Kranke werden als Aussätzige gebrandmarkt, und dies buchstäblich, denn sie leben außerhalb der Stadt mitten in Ruinen.

Die einzige Möglichkeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, besteht darin, die unaussprechliche Krankheit beim Namen zu nennen. Und dies tut auch Chanda: Sie entschließt sich gegen die ungeschriebene Regel, Fragen zu stellen und das Schweigen zu brechen, indem sie ihr Mutter rät, sich testen zu lassen und sie ins Krankenhaus bringt. Dort findet das Mädchen in einer Krankenschwester auch endlich einen Menschen, der Verständnis für ihre Situation zeigt.

Die Kamera von Bernhard Jasper fängt farbgesättigte, eindrucksvolle Bilder ein, die aber gar nichts mit Postkartenansichten gemeinsam haben. Die langen Einstellungen verleihen dem Film einen geruhsamen, fast meditativen Rhythmus, der europäischen Sehgewohnheiten teilweise zuwiderläuft. Obwohl manche Situation im von Regisseur Oliver Schmitz selbst zusammen mit Dennis Foon verfassten Drehbuch etwas konstruiert wirkt, gelingt es dem Regisseur, eine zwar zu Herzen gehende, aber in keinem Augenblick ins Rührselige abdriftende Mutter-Tochter-Beziehung zu schildern. Großen Anteil daran hat auch die junge Khomotso Manyaka, die für ihre herausragende Darstellung auf dem „Durban International Filmfestival“ als „Beste Hauptdarstellerin“ ausgezeichnet wurde. Das Drama erhielt darüber hinaus den Preis als „Bester afrikanischer Spielfilm“ und wurde vom Südafrikanischen Auswahlkomitee für den Oscar in der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“ ausgewählt. Beim Filmfestival Cannes 2010 erhielt „Geliebtes Leben“ außerdem den „Prix François Chalais“, der Filme würdigt, die sich in besonderer Weise mit dem aktuellen Weltgeschehen auseinandersetzen.

Obwohl Oliver Schmitz’ Film die durch Aids und soziale Ausgrenzung verursachte beklemmende Realität nicht verschweigt, macht er Hoffnung, weil „Geliebtes Leben“ die Bedeutung von Mitgefühl, Loyalität und Freundschaft verdeutlicht. Außerdem zeigt der Film, dass ein intelligentes, mutiges Mädchen in der Lage ist, die Welt zu einem besseren Ort zu verändern.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren