TATORT: BOROWSKI UND DAS DUNKLE NETZ | Tatort: Borowski und das dunkle Netz
Filmische Qualität:   
Regie: David Wnendt
Darsteller: Axel Milberg, Sibel Kekilli, Maximilian Brauer, Jochen Hägele, Yung Ngo, Mirco Kreibich, Michael Rasrl, Philine Stappenbeck
Land, Jahr: Deutschland 2017
Laufzeit: 90 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G, S
im Kino: 3/2017


José Garcia
Foto: NDR

Nach dem Mordanschlag auf den Leiter der Abteilung Cybercrime beim LKA Kiel vermuten die Kommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) hinter dem Anschlag einen Täter aus dem Umfeld der Internetkriminalität, gegen den der Tote ermittelt hatte. Während Borowski mühsam lernen muss, wie es im Netz zugeht, ist Brandt als ehemalige Hackerin in ihrem Element. Die Spur führt sie vom Tatort Kiel ins sogenannte Darknet, die verdeckte Variante des Internets. Borowski und Brandt quartieren sich bei den LKA-Internetspezialisten Cao (Yung Ngo, links) und Dennis (Mirco Kreibich) ein. Deren Arbeitsplatz: eine große, leere Halle, in der lediglich die Schreibtische und Computer von Cao und Dennis stehen. Mit deren Hilfe hoffen sie auf eine Lücke im "dunklen Netz" zu stoßen, die zum Täter führen könnte. Auch wenn der Zuschauer ziemlich früh das Gesicht des Killers Hagen Melzer (Maximilian Brauer) kennt, bleibt die Frage spannend, wer seine Hintermänner sind und aus welchen Motiven sie handeln.

Auf die Risiken des Internets wurde bereits in Kino- und Fernsehfilmen hingewiesen. Der Spielfilm "Who Am I - Kein System ist sicher" führt etwa dem Zuschauer die Sicherheitslücken und die Möglichkeiten zur Datenmanipulation eindrucksvoll vor. Der Fernsehfilm "Das weiße Kaninchen" beleuchtet das sogenannte Cybergrooming ? die Anbahnung sexueller Kontakte zu Minderjährigen im Internet. Die "Tatort"-Folge "Borowski und das dunkle Netz" konzentriert sich auf das sogenannte Darknet, wo illegale Geschäfte angebahnt werden, das aber auch etwa Dissidenten in totalitären Systemen einen verhältnismäßig freien Raum bietet. Regisseur David Wnendt lotet dabei die Grenzen des "Tatorts" insbesondere in visueller Hinsicht aus. Denn die "Tatort"-Folge brilliert gerade in der Optik ? nicht nur weil er etwa auch mittels einer Cartoon-artigen Animation das "Darknet" erklärt. Die sehr beweglichen Kamerabewegungen von Benedict Neuenfels tragen ebenfalls dazu bei, neue Maßstäbe in einem bereits etablierten TV-Format zu setzen.


Interview mit Regisseur David Wnendt und Hauptdarsteller Axel Milberg

Sie drehen erstmals einen "Tatort". Wie kam es dazu? Und warum wählten Sie dieses Thema?

David Wnendt: Die Idee, einen "Tatort" zu drehen, kam von Axel Milberg, der ja seit langem dabei ist. Das war zu einer Zeit, als die ersten Berichte über das Darknet erschienen. Ich fand es spannend und faszinierend. So ergab es sich schnell, dass wir darüber einen Krimi drehen wollten.

Was wussten Sie vor diesem "Tatort" über das Darknet?

Axel Milberg: Ich wusste, dass es das gibt. Ich wusste, dass man da alles kaufen kann. Ich wusste, dass der Kunde im Darknet anonymisiert ist. Dass es die Internet-Währung Bitcoin gibt, das wusste ich. Was ich nicht wusste, ist, dass das Darknet auch in Diktaturen von der Opposition benutzt wird, dass es auch seine guten Seiten hat. Dass Menschen, die von ihren Regimen verfolgt werden, anonym kommunizieren können und darüber auch Informationen außer Landes bringen können.

Bei einem "Tatort" müssen Sie gewisse Gesetze befolgen: Es geht ja um einen Kriminalfall. Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Gesetzmäßigkeit und Kreativität?

David Wnendt: Seit einiger Zeit ist gerade beim "Tatort" Vieles möglich. Ich mag allerdings das klassische Whodunit ("Wer hat es getan?"). Für mich besteht Kreativität nicht darin, die Form neu zu erfinden, sondern mit der Form zu arbeiten. Ein gewisser Rahmen ermöglicht Kreativität. Viele Krimis, die ich mag, erzählen mehr, als nur über den Plot, auch wenn sie einer klassischen Form folgen. Mit der erzählerischen Form wollte ich nicht experimentieren. Mit visuellen Stilmitteln dagegen sehr wohl.

Und wie ist das Verhältnis zwischen der Figur des Klaus Borowski, die in den Folgen immer gleich bleibt, und den Veränderungen, die verschiedene Regisseure einbringen?

Axel Milberg: Das ist eine gute Frage, eine kluge Frage. Eigentlich müssten die Veränderungen weniger sein, als sie sind. Wie Sie zu Recht unterstellen, verändern wir dadurch, dass verschiedene Autoren am Werk sind, mehr als es eigentlich bei einer Serie sein sollte. Nun sind wir bei einer Reihe - zwei Folgen im Jahr. Oft ist ein halbes Jahr oder mehr Abstand zwischen den Folgen. Deswegen kann ich etwas freier damit umgehen, weil man nicht Woche für Woche oder Tag für Tag guckt und gewisse Sprünge oder Widersprüche nicht so sichtbar sind. Das Andere ist: Ich habe gerne diese Widersprüche, weil ich auch zutiefst glaube, dass wir Menschen diese Widersprüche haben. Aber wir sollten weniger Schwankungen haben, und es enger führen. Das ist eines der Themen, die auf der Agenda für die Zukunft stehen. Denn wenn alles beliebig ist, verschwimmt die Figur.

Haben Sie bei Ihren Recherchen erfahren, ob die Polizei eher den Verbrechern hinterherhinkt?

David Wnendt: Ich habe Fachzeitschriften für Polizisten gelesen. Wir waren auch beim LKA in Kiel. Die Handy- und Computerauswertung sind neue mächtige Waffen in den Händen der Polizei. Auf der anderen Seite gelangt die Polizei potenziell an so viele Daten, dass das ein Problem ergibt. Denn alle Daten müssen auch ausgewertet werden. Ein Beispiel: Wenn ein Verdächtiger in einer SMS "Schnee" schreibt, hat es einfach geschneit oder ist dies ein Code für Kokain? Und diese SMS ist eine von Tausenden, die der Verdächtige auf seinem Handy hat. Die Polizei in Deutschland kann die neuen Werkzeuge nutzen, aber ihr stehen weitaus weniger Mittel und Personal als der NSA der Amerikaner zur Verfügung. Es ist nicht "Big Brother", sondern eher "Little Brother". Und die deutschen Beamten selbst wollen nicht unbedingt alles, was technisch möglich ist, auch anwenden, denn sie selbst wollen nicht in einem totalen Überwachungsstaat leben.

Wäre es interessant, ähnlich wie an einer Miniserie zu arbeiten? Der neue Berliner "Tatort" hat zum Beispiel einige Spannungsbögen, die sich über mehrere Folgen erstrecken ...

David Wnendt: An einem solchen Projekt würde ich gerne arbeiten. Jedoch die Produktionswirklichkeit vieler "Tatorte" macht es schwierig. Jede Folge wird einzeln gemacht von verschiedenen Autoren und Regisseuren. Es gibt keinen fest definierten Head-Autor und zumindest beim Kieler "Tatort" keine umfangreiche "Bibel", die alles vorgibt. Als begeisterter Zuschauer von amerikanischen Serien fände ich aber toll, wenn man über einen längeren Zeitraum erzählen könnte. Denn die Figuren wachsen einem dann ganz anders ans Herz.

Axel Milberg: In den letzten Jahren haben wir immer wieder diskutiert, Bögen über mehrere Folgen zu ziehen. Ich habe mir aber von der Redaktion erklären lassen, dass das bei einer solchen Reihe nicht wirklich funktioniert. Man muss immer innerhalb der neunzig Minuten bleiben. Man kann Cliffhanger haben, klar. Aber über vier Folgen ... Letztlich ist es Geschmackssache: Die einen finden es cool, die anderen verstehen es nicht. Es hängt natürlich auch davon ab, wie etwas am Ende einer Folge als ungeklärt steht.

Sie haben zuletzt in der 1 000. "Tatort"-Folge gespielt, die eher konventioneller inszeniert wurde. In "Borowski und das Dunkle Netz" gibt es neue Stilmittel. Mögen Sie die Veränderungen, die Abwechslung, oder soll der "Tatort" denselben Gesetzen folgen?

Axel Milberg: Wir machen jeden Film so, dass ich sage: "Diesen Film würde ich als Zuschauer gerne sehen". Es ist ein lebendiger Organismus. Wir machen eine Zeit lang etwas, dann sagen wir: "Jetzt ist es gut. Nicht weiter so." Dann machen wir etwas anderes, zum Beispiel, man nimmt sich als Ermittler zurück und macht Platz für die Geschichte. Irgendwann wird es aber austauschbar, wenn der Ermittler nur als eine Art Moderator auftritt. Deshalb kümmern wir uns wieder um die Figur, um seinen Blickwinkel, das Unverwechselbare. Dazu kommen sehr unterschiedliche Regisseure, wie Sie vorhin sagten. Auch Regisseure, die zum ersten Mal einen "Tatort" machen, was mir persönlich lieber ist als einer, der sagt: "Ich habe schon 18 gemacht. Mir muss man nichts erzählen". Denn dieser neue Blickwinkel auf etwas Bekanntes hält die Sache frisch.
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